Revolution in Belarus

Nachbarschaftshilfe? Belarus und Russland

Neighbourly Help? Belarus and Russia

Relations between Russia and Belarus are shaky. During the election campaign, Aliaksandr Lukashenka stylised neighbouring Russia as a national threat. Now he is calling his Russian counterpart Vladimir Putin for help. Russia sends journalists to replace the strikers in the state media and secret service agents as advisors. And President Putin promises to build up a police reserve force – if the situation gets out of control. What strategy is the Russian government pursuing in view of the social uprising in the neighbouring country? And what does this mean for the sovereignty of Belarus?

Die Beziehungen zwischen Russland und Belarus schwanken. Im Wahlkampf stilisierte Aliaksandr Lukashenka das Nachbarland Russland zur nationalen Bedrohung. Nun ruft er seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin um Hilfe. Russland schickt Journalist*innen, um die in den Staatsmedien Streikenden zu ersetzen und Geheimdienstler*innen als Berater*innen. Und Präsident Putin sagt den Aufbau einer Reservetruppe der Polizei zu – falls die Situation außer Kontrolle gerate. Welche Strategie verfolgt die russische Regierung angesichts des gesellschaftlichen Aufstands im Nachbarland? Und was bedeutet dies für die Souveränität der Republik Belarus?

Discussants / Es diskutieren:
Arkady MOSHES, Finnish Institute of International Affairs, Helsinki
Yauheni PREIHERMAN, Minsk Dialogue Council on International Relations, Minsk

Moderation:
Miriam KOSMEHL, Bertelsmann Stiftung

The panel discussion is part of the series Revolution in Belarus / Die Podiumsdiskussion findet statt im Rahmen der Veranstaltungsreihe Revolution in Belarus (für weitere Details s. unten)

Veranstaltungsprogramm

200903_belaru… (PDF, 273 kB)


Veranstaltungsbericht

Bericht: Henri Koblischke

Die Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland sind verworren. Während des Wahlkampfs stilisierte Alieksandr Lukaschenka das benachbarte Russland als nationale Bedrohung. Angesichts der wachsenden Proteste rief er seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin um Hilfe. Russland entsendete Journalisten, um die Streikenden in den staatlichen Medien und Geheimdienstagenten als Berater zu ersetzen. Und Präsident Putin versprach, eine Polizeireserve aufzubauen – falls die Situation außer Kontrolle gerät. Welche Strategie verfolgt die russische Regierung angesichts des sozialen Aufstands im Nachbarland? Und was bedeutet das für die Souveränität von Belarus?

Nach Ansicht von Yauheni PREIHERMAN vom Minsk Dialogue Council on International Relations sind für die russische Regierung geopolitische Überlegungen entscheidend. Zum einen sei für Russland klar, dass sich Belarus unter Lukaschenka nicht nach Westen orientieren wird, wohingegen der Kurs der Opposition weniger vorhersehbar sei. Zum anderen fürchte die russische Regierung, ein demokratischer Wandel in Belarus könne eine Blaupause für den postsowjetischen Raum und vor allem Russland selbst sein. Arkady MOSHES vom Finnish Institute of International Affairs bezeichnete diese Haltung als typisch für die vorherrschende Ideologie des russischen Regimes. Autokraten dürften nicht durch Wahlen oder Proteste von der Macht getrennt werden.

Die Unterstützung für Lukaschenka sei demnach die Entscheidung ein „bekanntes Übel“ zu unterstützen, argumentierte Moshes. Dies sei auch Russlands einzige Wahl, da Lukaschenka erfolgreich die russisch-belarusischen Beziehungen monopolisiert habe und jegliche Konkurrenz gegenüber ihm als „Russlands einzigem Freund“ ausgeschaltet habe. Moshes sieht darin Lukaschenkas Strategie zur Machtsicherung, da die russische Regierung so aus Alternativlosigkeit an ihn gekettet bleibe. Hinzu komme, dass Lukaschenka den belarusischen Staatsapparat fest im Griff habe. Ein potenzieller Nachfolger dürfte einen schwächeren Stand haben, was ihn womöglich daran hindern könnte, im Interesse des Kremls zu handeln.

Nichtsdestotrotz warnten sowohl Moshes als auch Preiherman davor, die Möglichkeit eines Wechsels an der belarusischen Staatsspitze hin zu einem neuen von Russland unterstützten Nachfolger auszuschließen. In gewisser Hinsicht, so Moshes, befindet sich Russland sogar in der „Luxusposition“. Es könne Lukaschenka zunächst weiter unterstützen und, sobald opportun und möglich, einen Wechsel an der Spitze des Regimes durchsetzen.

Eine Eskalation der Lage liege zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls im Interesse keiner Partei, äußerte sich Moshes. Die Demonstrierenden wollten friedlich sein, Lukaschenka und der Kreml könnten auf Zeit spielen und darauf setzen, dass die gesellschaftliche Mobilisierung abnimmt. Die Gefahr gehe daher weniger von einer geplanten Eskalation als von „Hitzköpfen“ im Sicherheitsapparat oder seitens der eingeschleusten russischen Akteure in Belarus aus, die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollten. Dass der versuchte Mord an Alexej Nawalny eine Warnung an die belarusischen Demonstrierenden gewesen sei, bezweifelte Moshes.

Uneinig waren sich beide Experten im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus. Moshes kritisierte die „Neuanfänge“ in den bilateralen Beziehungen der letzten Jahre. Sie hätten die Demokratiebewegung in Belarus unterminiert. Er befürwortete eine stark verlängerte Sanktionsliste, die auch mittlere und niedrige Beamte sowie ihre Familien umfassen solle. Wirtschaftssanktionen betrachtete er mit Skepsis und bezweifelte ihre Wirkung. Vielmehr solle der Westen aufhören, Lukaschenka als Präsidenten anzuerkennen. Dagegen betonte Preiherman, dass es weiterhin Gespräche mit Lukaschenka geben müsse, da dieser bereits Fakten geschaffen habe und man sich in der Diplomatie seine Gesprächspartner nicht aussuchen könne. Unter Verweis auf frühere Vorfälle argumentierte er, personenbezogene Sanktionen stoppten keine weiteren Repressionen. Wirtschaftssanktionen dagegen straften die Bevölkerung ab und wären auch nicht im Interesse der EU. Sanktionen seien daher keine sinnvolle Handlungsoption für die EU, sie solle „etwas anderes versuchen“. Welche Alternativen denkbar wären, blieb aber unklar.

Datum:
03.09.2020, 18:00 Uhr bis 19:00 Uhr

Hinweis:
Die Veranstaltung findet online statt.

Sprache(n):
Englisch

Programm:

200903_belaru… (PDF, 273 kB)

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde