Nach der Wiedervorlage des Gesetzes zur ausländischen Einflussnahme in diesem Frühling gingen hunderttausende Georgier*innen gegen die Regierungspolitik auf die Straßen. Doch weder der gesellschaftliche Widerstand noch das Veto der Präsidentin Salome Surabischwili konnten die regierende Partei Georgiens „Georgischer Traum“ und Bidsina Iwanischwili an ihrer Spitze dazu bewegen, das umstrittene Gesetz „Über Transparenz ausländischen Einflusses“ zurückzunehmen. Die friedlichen Massenproteste gehen weiter. Sie haben inzwischen alle gesellschaftlichen Schichten erreicht und breiten sich neben dem Zentrum mit der Hauptstadt Tbilisi überall in Georgien aus.
Mit der Verabschiedung des so genannten „Agentengesetzes“ erleben die Georgier*innen aktuell einen historischen Kurswechsel. Das Gesetz, das es in ähnlicher Form in Russland und in anderen autoritären Staaten gibt, richtet sich gegen sämtliche zivilgesellschaftliche Akteur*innen, NGOs, freie Medien und Kulturinstitutionen. Die Regierung, die sich gegenwärtig durch ihre rechtsautoritäre Politik, ihre harten Repressionsmechanismen gegen die Zivilgesellschaft und ihre obskuren Verschwörungstheorien abrupt von der Europäischen Union abwendet, sucht neue politische und wirtschaftliche Verbündete wie China. Neben dem „Agentengesetz“ profitiert die Regierung auch von dem so genannten „Offshore-Gesetz“, das Georgien in eine steuerfreie Oase verwandeln soll.
Wie steht es nun um die Zukunft Georgiens und seine Demokratie? Welchen Einfluss wird der aktuelle politische Kurs auf die EU-Assoziierung Georgiens ausüben? Welche zivilgesellschaftlichen Mechanismen können der autokratischen Politik der Regierung entgegenwirken? Welche Bedeutung haben die anstehenden Wahlen im Oktober? Diese und weitere Fragen werden im Rahmen der Podiumsdiskussion diskutiert.
Panelist*innen:
Zaal Andronikashvili (Literaturwissenschaftler, ZfL)
Nino Haratischwili (Autorin)
Anna Margvelashvili (Historikerin, Soviet Past Research Laboratory)
Michael Roth (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags)
Moderation: Irine Beridze (Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, FU Berlin)
Die Veranstaltung ist eine Kooperation des Osteuropa Instituts der Freien Universität, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und des Leibniz-Zentrums für Literatur und Kulturforschung.
Bericht: Carla Kerkmann
In Georgien hat das Parlament am 14. Mai für einen Gesetzentwurf “zur ausländischen Einflussnahme” (zuvor Gesetz zu “ausländischen Agenten”) gestimmt, der vorschreibt, dass Organisationen, die mehr als 20% ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, sich als “Verfechter der Interessen einer ausländischen Macht” registrieren lassen müssen. Die Wiedervorlage des Gesetzes ist in der Zivilgesellschaft auf Widerstand gestoßen und hatte über Monate anhaltende Massenproteste zur Folge.
Die DGO thematisierte diese Entwicklung auf zwei Veranstaltungen: Am 23. Mai fand in Kooperation mit dem Fachbereich Kaukasusstudien der Uni Jena eine digitale Podiumsdiskussion statt. Zum Thema „Georgiens Systemkrise. Ursachen und Konsequenzen“ diskutierten Sonja Schiffers (Leiterin des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung), Ia Eradze (Georgian Institute for Public Affairs, GIPA), Franziska Smolnik (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP) und Lasha Bakradze (Ilia-Universität Tbilisi) über die Folgen des Gesetzes für Wirtschaft, Zivilgesellschaft sowie die EU-Integration Georgiens.
Die Folgeveranstaltung „Georgien zwischen Widerstand und Isolation“, die knapp vier Wochen später im Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin stattfand, stellte die anhaltenden Massenprotesten und die Bedeutung der Parlamentswahlen im Oktober in den Mittelpunkt. Auf dem Podium saßen Zaal Andronikashvili (Literaturwissenschaftler, ZfL), Nino Haratischwili (Autorin), Anna Margvelashvili (Historikerin, Soviet Past Research Laboratory) und Michael Roth (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags).
Das Russische Gesetz
Das Gesetz „Über Transparenz ausländischen Einflusses“ wird in Georgien häufig auch russisches Gesetz genannt. In der Veranstaltung zu „Georgiens Systemkrise“ erläuterte Schiffers die Rolle Russlands im Gesetzgebungsprozess und betonte den Mangel an Informationen zur direkten Einflussnahme Russlands auf den Gesetzgebungsprozess. Sie bekräftigte außerdem, dass Russland von dem das neue Gesetz profitierte, beispielsweise dadurch, dass das Gesetz die Westintegration Georgiens verhindere. Auch Bakradze betonte Georgiens Abkehr vom Westen als wichtigste Folge des Gesetzes und äußerte die Befürchtung, dass Georgiens Entwicklung der Autokratisierung Russlands folgen könnte.
Autokratisierung Georgiens
Schiffers merkte zudem an, dass Georgiens Vorantreiben der Autokratisierung durch legale Mittel ein typischer Vorgang der umfassenden Autokratisierungswelle sei, die weltweit zu bemerken sei. Dies war ebenfalls Thema der Diskussion „Georgien zwischen Widerstand und Isolation. So beschrieb Andronikashvili Georgiens Entwicklung als einen schleichenden Staatsstreich, der von Bidsina Ivanishvili, dem Gründer der derzeitigen Regierungspartei Georgischer Traum, vorangetrieben würde. Da Ivanishvili bereits die Kontrolle über Medien, Justiz sowie Executive und Legislative besitze, sei der nächste Schritt der Machtausweitung die Kontrolle der Zivilgesellschaft, die er mithilfe des neuen Gesetzes zu erlangen versuche. Andronikashvili verwies auf weitere repressive Gesetze, wie das (mittlerweile verabschiedete) Anti-LGBT Gesetz und die angekündigte Bildungsreform. Haratischwili machte ergänzend auf die schon in den letzten Jahren spürbar werdende Repression in der Kulturszene und die neue georgische Kulturpolitik aufmerksam, betonte aber auch die Stärke der Kulturschaffenden in ihrem Widerstand gegen die Regierungspolitik.
Angesprochen auf die Rolle der Justiz im Kampf um Demokratie und gegen das Gesetz „Über Transparenz ausländischen Einflusses“, argumentierte Andronikashvili, dass ein großer Teil der Richter und auch der Verfassungsrichter eine regierungsfreundliche Einstellung hätten und somit auch die Klage vor dem Verfassungsgericht gegen das neue Gesetz unwahrscheinlich sei. Es sei zudem anzunehmen, dass das Verfassungsgericht die Entscheidung über das Gesetz bis nach der Wahl hinauszögern werde.
Die Parlamentswahlen
Bei beiden Veranstaltungen waren sich die Panelist*innen einig, was die Bedeutung der Parlamentswahlen im Oktober betrifft. Sie äußerten die Vermutung, dass die Regierungspartei, der Georgische Traum, das Gesetz nutzen werde, um die eigenen Chancen an der Macht zu bleiben zu erhöhen, indem sie Wahlbeobachtung verhinderten und so Wahlmanipulation ermöglichen. In Berlin prognostizierte Roth, dass die Wahlen zwar frei, aber durch die Schwächung der Opposition und der Zivilgesellschaft nicht fair sein werden. Andronikashvili gab darüber hinaus zu bedenken, dass der Georgische Traum im Falle einer Wahlniederlage diese möglicherweise nicht anerkennen werde. Auf dem digitalen Panel waren sich Schiffers sowie Haratischwili einig, dass die Opposition sehr zersplittert und vor allem die Frage nach der Beteiligung der Vereinte Nationale Bewegung, der Partei von Ex-Präsident Saakashvili in der Bevölkerung höchst umstritten sei.
Proteste
In diesem Zusammenhang verwiesen Bakradze und Schiffers auf die Wichtigkeit und Stärke der georgischen Zivilgesellschaft. Auch bei der Diskussion im ZfL war dies Thema. Roth sprach der georgischen Zivilgesellschaft seine Bewunderung aus, die sich mutig antidemokratischen Bewegungen entgegenstelle und äußerte seine Befürchtungm die Proteste könnten gewaltvoll eskalieren und dadurch von der Regierung instrumentalisiert werden. Andronikashvili machte darauf aufmerksam, dass die Proteste vor allem von den Studierenden getragen wurden. Er äußerte die Befürchtung, eine Bildungsreform könne die Autonomie der Universitäten untergraben und zur staatlichen Kontrolle dieser führen.
Politik der EU
Beide Veranstaltungen diskutierten zudem die Politik der Europäischen Union. In der digitalen Runde sah Franziska Smolnik aufgrund der mangelnden Sanktionsmöglichkeiten wenige Handlungsspielräume für die EU. Ihrer Ansicht nach werde Deutschland gegen einen EU-Beitritt Georgiens stimmen, sollte das Gesetz nicht zurückgenommen werden. Gleichzeitig wolle die EU nicht der georgischen Bevölkerung schaden, die gegen das Gesetz protestiert, so Smolnik.
Vier Wochen später waren die Panelist*innen ähnlicher Meinung. Roths Position stimmte indirekt mit Smolniks Einschätzung zu den Handlungsmöglichkeiten der EU überein. Der Politiker forderte, Druck auf die georgische Regierung auszuüben, um die Beteiligung von Wahlbeobachter*innen bei den Parlamentswahlen im Oktober sicherzustellen.
Die Folgen für die Georgische Wirtschaft
In der digitalen Diskussion argumentierte Eradze, dass die Verabschiedung des „russischen Gesetzes“ die Stabilität der georgischen Wirtschaft bedrohe und Folgen wie das Sinken des Lari-Kurses sowie fallende Aktienkurse schon kurz nach der Annahme des Gesetzes sichtbar wurden. Sie verwies darauf, dass die georgische Wirtschaft von ausländischen Investoren und westlicher Kreditvergabe abhängig sei und betonte, dass die Zukunft der georgischen Ökonomie von diesen abhinge. Eradze zufolge verstärke das Gesetz den ohnehin schon anhaltenden Trend der Vertiefung der Handelsbeziehungen mit Georgiens Nachbarländern, vor allem mit Russland. Gleichzeitig würden wirtschaftliche Partnerschaften mit der EU und dem Westen erschwert.
Was den Ausblick auf Georgiens Zukunft angeht, waren sich beide Panels einig: Diese hänge signifikant vom Verlauf und Ausgang der Parlamentswahlen. Die Beteiligten äußerten die Hoffnung, dass der Georgische Traum diese verlieren und den Verlust anerkennen würde.
Datum:
17.06.2024, 19:00 Uhr
Ort:
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Eberhard-Lämmert-Saal
Meierottostr. 8
10719 Berlin
Sprache(n):
Deutsch
Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde