War Trauma

The effects on Ukrainian society and science

The discussion is part of the event "Cafe Kyiv", organized by the Konrad-Adenauer-Foundation. For more Information on Cafe Kyiv 2024 see: https://cafekyiv.kas.de/

The Russian war against Ukraine has a direct psychological impact on those who are in the immediate war zone, affected by bombing or who have become refugees. But it also damages the mental state of those who are not directly affected by war action. And the war also impacts those who work with traumatized individuals. The panel discusses the consequences of traumatization for Ukrainian society and for scholars who research the consequences of war. And it discusses strategies to cope with trauma under war time conditions.

Discussants:
Christa Cocciole, Body Oriented Systems Therapist and Consultant for Embodied Leadership
Anastasiya Leukhina, UNET Coordinator, ZOiS, Center for East European and International Studies
Inna Volosevych, Fellow, ZOiS, Center for East European and International Studies, Deputy Director, Info Sapiens

Moderation: Gabriele Freitag, German Association for East European Studies (DGO)


Veranstaltungsbericht

Bericht: Anna Marie Zeitler

Spätestens seit Beginn des vollumfänglichen Angriffs Russlands auf ihr Land im Jahr 2022 sind viele Ukrainer*innen dauerhaft mit Leid und Stress konfrontiert – in der Ukraine selbst oder in der Diaspora. Aber nicht nur diejenigen, die direkt am Kriegsgeschehen beteiligt sind, tragen physische und psychische Schäden davon. Auch wer mit diesen traumatisierten Menschen arbeitet, wird nachweislich beeinträchtigt. Im Rahmen des von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten „Café Kyiv“ haben wir dieses Thema gemeinsam mit dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) aufgegriffen und diskutiert. Beteiligt waren die Soziologin und stellvertretende Direktorin der Forschungsagentur „Info Sapiens“, Inna VOLOSEVYCH, die Koordinatorin des „Ukraine Research Network“ (UNET) des ZOiS, Anastasiya LEUKHINA, sowie die Psychologin und körperorientierte Systemtherapeutin Christa COCCIOLE.

DIE (UN)SICHTBARKEIT VON TRAUMA

Zum Einstieg verweist Moderatorin Gabriele FREITAG auf die besondere Wichtigkeit des Themas psychologischer Traumata. Diese seien anders als etwa materielle Zerstörung, realer Verlust oder Flucht, von außen deutlich sichtbar, sondern müssen als physisch  kaum erkennbare Kriegsschäden angesehen werden. Dies gilt auch für mittelbar betroffene Personen, die mit den traumatisierten Menschen zusammenarbeiten. Die Psychologin Cocciole fügt hinzu, dass nicht das Ereignis selbst, sondern die Effekte, die es mit sich bringt, das eigentliche Trauma sei. Beim auslösenden Faktor muss es sich nicht zwingend um eine einzelne prägende Erfahrung handeln – auch langfristiger Stress, dem viele Betroffene ausgesetzt sind, kann zu einem Trauma führen. Ähnliche Effekte sind bei Therapeut*innen wie Interviewer*innen erkennbar, die ein sog. „vicarious trauma“ (sekundäre Traumatisierung) erleiden können. Hier differenziert Cocciole zwischen einem Burnout und der Übernahme von Traumata sowie dem Zustand, diesen ständigen ausgesetzt zu sein. Auf Nachfrage erklärt Cocciole, dass die Symptome individuell und nicht generalisierbar sind, häufig dabei jedoch Schlaflosigkeit, Zwangsgedanken sowie innere Unruhe auftreten.

Leukhina verwies auf die klare Differenzierung zwischen für andere erkennbare, physische Verletzungen und psychischem Leidensdruck. Aus persönlicher Erfahrung erzählt sie von einem geplanten Retreat für Menschen, die bei ihr zum russischen Angriffskrieg forschen. Dabei wurde deutlich, dass nicht nur unmittelbar betroffene Ukrainer*innen diese Auszeit brauchten, sondern auch diejenigen, die tagtäglich mit Geschichten de Betroffenen konfrontiert sind. Auch sie sind dauerhaften Leidenserzählungen ausgesetzt.

DER EFFEKT AUF DIE UKRAINISCHE GESELLSCHAFT

Meinungsforscherin Volosevych gibt einen Einblick in die Umfragen, die sie für Info Sapiens zu Einstellungen bezüglich Politik, Gesundheitswesen etc. in der Ukraine durchgeführt hat. Dabei wird deutlich, dass die häufigsten Antworten zur größten Belastung durch den Krieg Arbeitslosigkeit sowie psychische Belastung betreffen. Anhand der signifikanten Unterschiede zwischen der Zahl derjenigen, die eingestehen, therapeutischer Hilfe zu bedürfen, und einer deutlich größeren Zahl an Menschen, die sich eine eher unpersönliche Telefonbetreuung wünschen, schließt sie auf ein Stigma im Hinblick auf die die Äußerung von Leid durch Männer. Auch ist ein deutlicher Unterschied zwischen den Antworten von noch in der Ukraine lebenden Menschen und bereits Geflüchteten zu erkennen. Letztere litten häufiger unter psychischen Probleme. Die Ursache sieht Volosevych in der Tatsache, dass die Personen im Ankunftsland Ruhe finden würden, was die Probleme zum Vorschein kommen lässt. In der Ukraine sei man eher im „Überlebensmodus“.

Wissenschaftler*innen in der Ukraine berichten häufig von dem Gefühl, in der eigenen Arbeit eingeschränkt zu sein, schildert Volosevych. Grund dafür sind Sicherheitsbedenken oder Antriebslosigkeit. Leukhina betont, dass diese Faktoren auch als für Arbeitswelt generell bedeutsame Probleme behandelt werden müssen und es mehr Empathie bedürfe. Traumata können schließlich auch in einem „gewöhnlichen“ Leben auftreten. Im Hinblick auf die Lage in der Ukraine plädiert Leukhina für eine kritische Betrachtung des Kämpfer-Narrativs der ukrainischen Bevölkerung, da damit der Eindruck einer Unverwundbarkeit einhergehen kann. So würden Ängste, Schwäche und Sorgen übergangen, um das Bild eines tapferen und stets unverletzlichen Soldaten aufrechtzuerhalten.

DIE ZUSAMMENARBEIT MIT TRAUMATISIERTEN PERSONEN

Die Zusammenarbeit mit traumatisierten Personen vergleicht Leukhina mit einem Minenfeld, das den eigenen und den Triggern der anderen navigieren müsse. Ein solcher Trigger kann bereits die Sprache sein, in der ein Interview durchgeführt wird, so Volosevych. An von ihr durchgeführten Interviews in der Ukraine hat eine Mehrheit von 90% in ukrainischer Sprache teilnehmen wollen, nur 10% haben angegeben, lieber auf Russisch zu antworten. Nach wiederholten Beschwerden gegen die Frage nach der Interviewsprache wird nun gefragt, ob sich die befragte Person wohl damit fühle, ukrainisch zu sprechen. Als langjährige Therapeutin erklärt Cocciole, dass die Einzigartigkeit des Traumas und auch die Notwendigkeit einer individuellen Behandlung hieran ersichtlich würden.

PRÄVENTIONSMÖGLICHKEITEN

Die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit traumatisierten Ukrainer*innen erinnert Cocciole an ihre Arbeit in Bosnien während des Krieges, bei der sie als Tanztherapeutin  tätig war. Sie berichtet, dass es damals mehr um den Forschungsfortschritt und die Ergebnisse ging und die mentale Gesundheit der dort Arbeitenden (Interviewer*innen?) übergangen wurden. Trauma Prävention und Behandlung kann nicht ausschließlich mit dem Verweis auf Self Care abgetan werden, sondern bedarf der Unterstützung durch Arbeitgeber*innen. Cocciole hätte sich besonders eine prophylaktische Herangehensweise gewünscht, bei der beispielsweise durch Gespräche im Team über das Erfahrene hätte geredet werden können. Leukhina merkt hier die Aktualität der traumatischen Erfahrungen an. Eine ihrer Beschäftigten sprach vor kurzem offen über ihren Kampf mit der Depression, woraufhin man ihr entsprechenden Freiraum und Stressentlastung ermöglichen konnte. Auf solchen Maßnahmen, so Cocciole, sollte der Fokus liegen. Vorgesetzte sollten Verständnis zeigen, um mögliche Schuldgefühle von Betroffenen zerstreuen und schließlich für eine anschließend höhere Produktivität sorgen zu können. Volosevych merkt an, dass sie für ihre Forschungsprojekte einen Fragebogen entwickelt hat, de Bewerber*innen ausfüllen, sodass sie bereits stark vorbelastete Personen passenden Projekte zuordnen kann. Gerade der eigene Arbeitsplatz sollte eine gewisse Erfüllung der eigenen Leidenschaft und nicht ein Albtraum im Alltag bedeuten, erklärt Cocciole. Dabei sollte man auch mit seinem Team und seiner Leitung im ständigen Gespräch bleiben erläutert Volosevych. So kann die häufige Scham, die das Thema mentale Gesundheit bzw. Krankheit begleitet, überwunden werden.

Abschließend verwies Leukhina auf die wichtige Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Stress. Während kurzzeitiger Stress vor Deadlines förderlich für die Leistung sein kann, ist Langzeitstress, so wie ihn viele traumatisierte Menschen erfahren, belastend und kann sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Anpassungen in der Arbeitswelt sind nicht nur notwendig sondern auch realisierbar, so Cocciole. Denn Eingliederungsmaßnahmen gäbe es in Deutschland bereits, weniger aber tatsächliche Prophylaxe oder Begleitprogramme.

Die Paneldiskussion ermöglichte neben einem Einblick in die Meinungsforschung in der Ukraine auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Trauma im psychologischen Sinne. Des Weiteren wurden verschiedene Bewältigungsstrategien und mögliche Triggerpunkte besprochen.

Datum:
19.02.2024, 17:15 Uhr bis 18:15 Uhr

Ort:
Colosseum Berlin
Eingang A
Gleimstraße 31
10437 Berlin

Sprache(n):
English

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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