Ein neuer 'Fall Ungarn'?

Die Slowakei unter Robert Fico

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Seit seiner Rückkehr ins Amt im Herbst 2023 hat der slowakische Premierminister Robert Fico das Land auf einen autoritären Kurs gebracht. Ficos Regierung geht gegen unabhängige Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen vor, stellt die Unabhängigkeit der Justiz in Frage und demonstriert Nähe zu Russland. Fico folgt auffällig dem Drehbuch seines ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Wie dieser spricht er von einem „unmoralischen Liberalismus“ und betont die nationale Souveränität. Vieles deutet darauf hin, dass es darum geht die Macht der Exekutive auszubauen. Die Kontrolldelegation des Europäischen Parlaments fordert ein Einschreiten der Europäischen Union. Bundeskanzler Friedrich Merz hat davon gesprochen, die EU solle die Aussetzung von Mitteln für die Slowakei und Ungarn prüfen.

Welche gesellschaftlichen Gruppen unterstützen die autoritäre Wende und warum? Was bedeutet Ficos Politik für die Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien? Bedeuten die Parallelen zur Entwicklung in Ungarn, dass die zwei Staaten eine gemeinsame Politik gegen die EU betreiben? Wie steht es tatsächlich mit dem Verhältnis zu Moskau und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Welche Konsequenzen hat die Ausrichtung der Slowakei für die Sicherheit in Mitteleuropa und an der NATO-Ostflanke? Welche Auswirkungen hat die Entwicklung in den USA auf die slowakische Politik? Und welche Konsequenzen hat all dies für Deutschland und die EU?

Begrüßung:
Sebastian Lambertz (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde)

Diskussion:
Barbora Krempaská (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit)
Kai-Olaf Lang (Stiftung Wissenschaft und Politik)
Moderation: Volker Weichsel (Zeitschrift Osteuropa)


Veranstaltungsbericht

Bericht: Shantanu Patni

Im Vorfeld des historischen NATO-Gipfels in Den Haag, bei dem die Erhöhung der Verteidigungsausgaben von zwei auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung beschlossen wurde, sorgte der slowakische Premierminister Robert Fico für Aufsehen: Er verglich die NATO mit einem „Golfklub“ und stellte infrage, ob die Slowakei den neuen Mitgliedsbeitrag zahlen werde. Dabei spielte er offen mit dem Gedanken einer Neutralitätspolitik, die seiner Ansicht nach für das Land vorteilhafter sei. Diese Haltung rief nicht nur Kritik von der Opposition hervor, sondern auch von dem ihm politisch nahestehenden Präsidenten Peter Pellegrini.

Ficos Außen- und Innenpolitik, das Vorgehen seiner Regierung gegen Justiz und Medien sowie mögliche Parallelen zum Regierungsstil des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán waren Thema eines gemeinsamen Webtalks von DGO und Friedrich Naumann Stiftung. Volker WEICHSEL (Zeitschrift Osteuropa) moderierte das Gespräch zwischen Barbora KREMPASKÁ (Friedrich-Naumann-Stiftung Prag) und Kai-Olaf LANG, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dabei ging es auch um die Diskrepanz zwischen der geringen Aufmerksamkeit für die Slowakei in der deutschen Öffentlichkeit und ihrer wichtigen Rolle für die europäische Sicherheitsarchitektur, auf die Sebastian LAMBERTZ (DGO) zur Begrüßung hinwies.

Lang eröffnete die Diskussion mit einer Analyse jener Gesetzesinitiativen, mit denen die Regierung Fico angeblich der Korruption den Kampf ansagen möchte. Im Zentrum stünden Änderungen am Strafgesetzbuch – insbesondere die Verkürzung von Verjährungsfristen und die Milderung von Strafmaßen. Lang wies in diesem Zusammenhang auch auf die faktische Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft hin, die er als tiefen Einschnitt in die rechtsstaatliche Ordnung der Slowakei wertete. Ficos außenpolitischer Auftritt sei von souveränen Leitlinien geprägt, so Lang, und der Premierminister vertrete einen Kurs, der auf „alle vier Himmelsrichtungen“ ziele – vor allem aber auf eine pragmatische Öffnung nach Osten.

Im Bereich der Medien zeichnete Lang das Bild eines weitreichenden Umbaus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Politische Nominierungen in Leitungspositionen hätten die Kontrolle durch die Regierung deutlich verstärkt. Gleichwohl, so Lang, sei das staatliche Medienangebot noch kein gleichgeschalteter Propagandakanal – kritische Stimmen gebe es durchaus, nicht zuletzt eine „vitale Zivilgesellschaft“ sowie eine führungsstarke Opposition in Form der Partei Progresívne Slovensko. Zudem verfüge die regierende Koalition weder über eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit noch über politische Geschlossenheit. Sie sei ein instabiles Bündnis ideologisch divergierender Kräfte.

Während Lang noch ein Bild der institutionellen Resilienz zeichnete, erinnerte Krempaská daran, dass binnen weniger Stunden nach Vereidigung der neuen Regierung die gesamte Polizeiführung ausgewechselt wurde – ein Schritt von bemerkenswerter Radikalität, der einen beunruhigenden Zugriff auf zentrale Institutionen des Gewaltmonopols markiert. Zugleich konstatierte sie, dass kritische Stimmen in der Öffentlichkeit zunehmend diskreditiert würden. Diese Entwicklung, so Krempaská, stehe in direktem Zusammenhang mit dem Attentatsversuch auf Ministerpräsident Fico im Mai 2024 – ein Schockmoment, der zwar für nationale Erschütterung sorgte, zugleich der Regierung aber auch als Vorwand diente, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken.

Auch im Bereich der staatlichen Kulturpolitik konstatierte Krempaská tiefgreifende Veränderungen: Mehrere kulturelle Einrichtungen sowie öffentliche Institutionen seien an regierungsnahe Personen übertragen worden. Doch genauso wie Lang betonte sie dass der SMER (slovenská sociálna demokracia –  Slowakische Sozialdemokratie)-Parteichef kein ideologisch starrer Politiker, sondern eher ein Chamäleon der politischen Landschaft sei. Seine Führung offenbare ein Vorgehen, das sich fast ausschließlich an der Stimmung der Wählerschaft orientiere. Die verschiedenen Facetten seiner Positionen – mal konservativ-katholisch, mal sozialdemokratisch, seien in erster Linie von Umfragewerten angetrieben und weniger von dogmatischen Überzeugungen. Diese Flexibilität der Ideologie sei symptomatisch für die politischen Verhältnisse in der Slowakei.

Weichsel ergänzte diese Einschätzung um den Hinweis, dass die politischen Strömungen, die Fico zu bedienen suche, nicht allein von der politischen Klasse erzeugt wurden, sondern tief in der slowakischen Gesellschaft verwurzelt seien. Fico nutze geschickt die „Launen der Gesellschaft“ und schaffe es so, politische Narrative zu setzen, die sich nicht allein auf eine pro-russische Haltung reduzieren ließen, sondern komplexer geartet seien. Die tief verwurzelte Polarisierung erlaube es der politischen Führung, je nach Lage gezielt unterschiedliche Wählerschichten zu bedienen.

Ökonomisch operiere Fico auf einem Drahtseil, konstatierte Krempaská. Die Slowakei sei massiv von EU-Geldern abhängig, zugleich setze der Premier weiter auf russische Energie – auch wenn dies klar der Sanktionspolitik der EU widerspricht. „Ohne EU-Gelder geht die Slowakei pleite“, warnte Krempaská. Sie beschrieb Ficos Kurs als riskantes Spiel: Er teste bewusst die Belastungsgrenzen Brüssels aus und wolle ausloten, wie nah die EU an den Rand der slowakischen Zahlungsfähigkeit gehen würde, ohne selbst den Abgrund zu öffnen.

Die Diskussion ließ keinen Zweifel daran, dass demokratische Institutionen und rechtsstaatliche Prinzipien in der Slowakei zunehmend unter Druck geraten. Krempaská und Lang waren sich einig: Ein direkter Angriff auf die Gewaltenteilung ist bislang ausgeblieben, könnte aber angesichts der politischen Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. Mittelfristig sei mit einem transaktionalen Verhältnis zwischen Bratislava und Brüssel zu rechnen, geprägt weniger von gemeinsamer Normbindung als von pragmatischer Interessenabwägung. Im Bewusstsein dieser komplexen Realität bleibt der Blick auf die Zukunft der Slowakei offen – und skeptisch.

Datum:
24.06.2025, 12:30 Uhr bis 13:30 Uhr

Hinweis:
Die Veranstaltung findet online statt.

Sprache(n):
Deutsch

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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