Belarusisch-Deutsche Geschichtskommission

Die Belarusisch-Deutsche Geschichtskommission konstituierte sich im Februar 2020 unter der Trägerschaft der Akademie der Wissenschaften Belarus und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Nicht nur die Covid-19-Pandemie, sondern auch die Fälschung der Wahlergebnisse bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus und das brutale Vorgehen gegen die anschließenden Proteste haben die Arbeit der Kommission stark beeinträchtigt. Die deutschen Mitglieder der Kommission gehen darauf in ihrem Jahresrückblick ein.

Ein Jahr im Ausnahmezustand
(Rückblick der deutschen Mitglieder der Belarusisch-Deutschen Geschichtskommission)

Die Belarusisch-Deutsche Geschichtskommission hat sich auf einer Sitzung im Februar 2020 konstituiert. In der Geschäftsordnung und einem gemeinsamen Kommuniqué wurde die Freiheit von Forschung und Lehre als gemeinsames Prinzip festgeschrieben.

Die Kommission hat im Frühjahr 2020 ein Stipendienprogramm für Studierende und Promovierende aus Belarus und Deutschland aufgelegt. Eine Person aus Belarus und zwei Personen aus Deutschland konnten einmonatige Forschungsaufenthalte im jeweils anderen Land absolvieren. Weitere Forschungsaufenthalte waren wegen der COVID-19-Pandemie nicht möglich. Eine für den Herbst geplante Fachtagung zum Thema „Staatlichkeit in historischer Perspektive“ konnte aufgrund der Pandemie ebenfalls nicht stattfinden.

Vor den Präsidentschaftswahlen in Belarus am 9. August 2020 veröffentlichte die Kommission Empfehlungen zum Gebrauch und zur Schreibweise des Landesnamens Belarus und seiner adjektivischen Form in deutschsprachigen Texten. Diese Änderung löste deutschlandweit eine Diskussion über die Unterschiede zwischen den Bezeichnungen „Belarus“ und „Weißrussland“ aus, die eine gute Gelegenheit für die Mitglieder der Kommission war, öffentlich Stellung zu nehmen und ihr Fachwissen einem breiten Publikum mitzuteilen. Viele große deutsche Medienhäuser haben inzwischen die Schreibweise „Belarus“ übernommen, einige auch das Adjektiv „belarusisch“. Im Online-Lexikon Wikipedia wird diese Auseinandersetzung weiterhin vehement ausgetragen – derzeit noch unter Beibehaltung von Weißrussland.

Ein ernstzunehmender Konflikt in der Zusammenarbeit mit dem belarusischen Träger der Belarusisch-Deutschen Geschichtskommission – der Nationalen Akademie der Wissenschaften – ergab sich Ende 2020 durch die Nichtverlängerung von sieben Arbeitsverträgen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften. Fünf weitere Historikerinnen und Historiker kündigten aus Solidarität ihrerseits ihre Verträge. Es handelt sich dabei um Wissenschaftler*innen, die nach den Wahlen vom 9. August wie Hunderttausende andere Belarusen offen ihren Standpunkt zum Ausdruck gebracht haben und gegen Wahlfälschungen und staatliche Gewalt gegen Demonstranten protestierten. Die deutschen Mitglieder der Kommission haben sich für die Belange der Betroffenen eingesetzt.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, des deutschen Trägers der Geschichtskommission, übersandte dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften eine offene Protestnote, die bisher ohne Antwort verblieb. Stattdessen griff der Sprecher der belarusischen Seite die deutschen Kollegen an, die im Rahmen des Projekts "Stimmen aus Belarus" eine Dokumentation des Ausschlusses und der Verfolgungen von belarusischen Kolleg*innen als „Minsk-Protokolle“ veröffentlicht hatten. Dem Vorwurf einer Politisierung der Kommissionsarbeit durch dieses Dokument wurde in einer Antwort klar widersprochen. Die deutschen Mitglieder haben darüber hinaus nochmals auf Freiheit von Forschung und Lehre als Grundlage der Kommissionsarbeit verwiesen.

Aufgrund des oben beschriebenen Konflikts sind die deutschen Vertreter*innen dazu übergegangen, gezielt inhaltliche wissenschaftliche Diskussionen im engen Austausch mit Historiker*innen durchzuführen, die in Belarus an Hochschulen, an der Akademie der Wissenschaften sowie jenseits staatlicher Einrichtungen sowie im Exil forschen. Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit als Gesamtkommission ist nur sinnvoll, wenn der belarusische Träger der Kommission die Freiheit von Forschung und Lehre achtet und Akteure von nichtstaatlichen Organisationen sowie Historiker*innen eingebunden werden, die ihre Arbeit aufgrund ihrer politischen Ansichten verloren haben.

Prof. Dr. Thomas Bohn, Justus-Liebig-Universität Gießen

Prof. em. Dr. Frank Golczewski, Universität Hamburg

Dr. Astrid Sahm, Internationales Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund/Berlin/Minsk

Dr. Diana Siebert, Justus-Liebig-Universität Gießen

Prof. Dr. Jan Kusber, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Dr. Gabriele Freitag, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin

Dr. Felix Ackermann, Deutsches Historisches Institut Warschau

Prof. Dr. Anke Hilbrenner, Universität Göttingen

https://www.dgo-online.org/neuigkeiten/aktuelles/belarusisch-deutsche-geschichtskommission/