Gemeinsame Erklärung: Hände weg von Memorial!
Berlin, 15.10.2021
Memorial ist die älteste und größte Menschenrechts-Organisation in Russland mit Ablegern in vielen russischen Regionen. Gestern Abend (14. Oktober) zeigte Memorial Moskau den eindrücklichen Holodomor-Film „Mr. Jones“ der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland, der auch auf der „Berlinale“ aufgeführt wurde.
Die Filmvorführung wurde durch einen Pulk von etwa 30 militanten „Patrioten“ gesprengt. Die Aktion wurde vom Fernsehsender NTV begleitet. Daraufhin riefen die Verantwortlichen von Memorial die Polizei, die nach 15 Minuten erschien, flankiert von Mitgliedern der Nationalgarde und einer Spezialeinheit zur Bekämpfung des Extremismus.
Allerdings verkehrte sich die Situation rasch in ihr Gegenteil: Memorial wurde wie ein Beschuldigter behandelt. Die Personalien der Veranstaltungs-Besucher wurden aufgenommen, niemand durfte das Gebäude betreten oder verlassen. Memorial verweigerte der Polizei die Durchsuchung von Computern und Büroräumen. Nachdem endlich zwei Anwälte Zutritt erhielten und unabhängige Medien breit über die Ereignisse berichteten, wurde der Polizeieinsatz nach sechs Stunden beendet. Ein PC wurde beschlagnahmt.
Wir werten diese Aktion als massiven Angriff auf die Meinungs- und Informationsfreiheit und ernste Gefahr für die Arbeit von Memorial. Sie steht in einer ganzen Reihe von Repressalien gegen unabhängige NGOs und kritische Medien, die sich in den letzten Monaten noch einmal verschärft haben.
Wir fordern die russischen Behörden auf, keinerlei Maßnahmen gegen Memorial wegen der Filmveranstaltung zu ergreifen. Es muss möglich sein, eine offene und kritische Diskussion über Stalins Hungerpolitik gegenüber der Ukraine zu führen.
Gleichzeitig fordern wir die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen die Teilnehmer der militanten Störaktion und ein Ende der Einschüchterungsmanöver gegenüber Memorial und seinen Mitarbeiter/innen.
Wir bitten die Bundesregierung, diesen Vorfall zu verurteilen und sich klar und deutlich vor Memorial zu stellen.
Unterzeichner/innen
Marieluise Beck, Zentrum Liberale Moderne
Franziska Brantner, MdB
Sabine Erdmann, Memorial Deutschland
Uta Gerlant, Historikerin
Peter Franck, Amnesty International
Sabine Fischer, Senior Fellow, Stiftung Wissenschaft und Politik
Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne
Gabriele Freitag, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO)
Rebecca Harms, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments
Stefan Melle, Deutsch-Russischer Austausch
Tobias Münchmeyer, Caucasus Nature Fund
Ruprecht Polenz, Präsident der deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO)
Stefanie Schiffer, European Exchange
Jens Siegert, Publizist, Moskau
Ellen Ueberschaer, Heinrich Böll-Stiftung
Johann Wadephul, MdB
Anna Veronika Wendland, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Mitglied der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission
https://dgo-online.org/neuigkeiten/aktuelles/gemeinsame-erklaerung-haende-weg-von-memorial/