Wie weiter mit der Kohle?
Energiepolitik und Strukturwandel in der Ukraine und in Deutschland
Kohle, so sind sich die Expertinnen und Experten im Bereich von Klimaschutz und Energiefragen einig, ist einer der klimaschädlichsten Brennstoffe überhaupt. Nichtsdestotrotz bleibt sie ein Wirtschaftsfaktor. Dies gilt für die Ukraine, auch wenn diese die Kontrolle über ihre eigenen Kohleressourcen durch den Konflikt im Donbass weitgehend verloren hat, ebenso wie für Deutschland – das Land, in dem bis heute weltweit die meiste Braunkohle gefördert wird. So erscheint der Kohleausstieg als Mammutaufgabe, die, neben den wirtschaftlichen und ökologischen, gravierende soziale Veränderungsprozesse mit sich bringt.
Wie lässt sich der Kohleausstieg in Deutschland und der Ukraine bewältigen? Welche Auswirkungen hat er auf die Volkswirtschaften und die Energieversorgung der beiden Länder? Und welche sozialstrukturellen Veränderungen bedeutet der Ausstieg aus der Kohle für die Menschen, die in den betroffenen Regionen leben? Diese Fragen diskutieren wir aus deutscher und ukrainischer Perspektive.
BEGRÜSSUNG
Gabriele FREITAG, Geschäftsführerin, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e. V.
DISKUSSION
Oldag CASPAR, Teamleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik, Germanwatch e. V.
Timon WEHNERT, stellv. Leiter Büro Berlin, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Oleg SAVITSKY, unabhängiger Experte für Klima- und Energiepolitik, Kiew
MODERATION
Samuel F. MÜLLER, Studienleiter, Europäische Akademie Berlin e. V.
Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, die Diskussion bei einem Glas Wein fortzusetzen.
Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. und der Europäischen Akademie Berlin e. V. Sie findet im Rahmen der „Akademie für Gute Regierungsführung und Empowerment in Europa" (AGREE) mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes statt.
Wir bitten um Anmeldung über die Website der EAB (bitte klicken).
Veranstaltungsprogramm
Programm (PDF, 239 kB)
Veranstaltungsbericht
Bericht: Claudia Eggart (DGO)
Fotos: Dirk Enters
Fossile Brennstoffe sind nach wie vor der Hauptenergielieferant. Sowohl für Deutschland als auch für die Ukraine ist die Kohle ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zugleich gehört sie zu den klimaschädlichsten Brennstoffen überhaupt. Der Ausstieg aus der Kohleenergie ist, spätestens seit dem Klimaabkommen von Paris, auch auf politischer Ebene ein gesetztes Thema. Die Schwierigkeiten, aber auch die Chancen und das Potential eines Kohleausstiegs für Deutschland und die Ukraine diskutierten Oleg SAVITSKY, Experte für Energie- und Klimapolitik aus der Ukraine, Timon WEHNERT vom Wuppertal Institut für nachhaltige Entwicklung und Oldag CASPAR von Germanwatch. Die Diskussion fand in Kooperation mit der Europäischen Akademie Berlin im Rahmen des Agree-Programms (Akademie für Gute Regierungsführung und Empowerment in Europa) statt.
Die Energiewende kann nur gemeinsam gelingen. Dass dies ein schwieriges Unterfangen und mit enormen Herausforderungen verbunden ist, zeigt sich am Beispiel des Ruhrgebiets und der Lausitz in Deutschland. Im Ruhrgebiet begann der Strukturwandel bereits Ende der 60er Jahre. Wehnert verdeutlichte, dass weder das Ruhrgebiet und noch weniger die Lausitz als Vorbild dienen könnten oder sollten. Vielmehr zeige die Entwicklung in diesen beiden ehemaligen Abbauregionen, welche Fehler künftig vermieden werden müssen. Bis heute sei die hohe Armutsquote in der Region ein Indikator dafür, dass die Umstellung ein äußerst langwieriger Prozess sei, bei dem die Frage der sozialen Verträglichkeit eine zentrale Rolle spiele.
Vergleicht man die Ausgangssituation des Kohleausstiegs in der Bundesrepublik mit den Bedingungen in der Ukraine, müsse unterschieden werden, dass die Kohleindustrie im Ruhrgebiet und der Lausitz staatlich war, sie in der Ukraine dagegen größtenteils privatisiert sei, betonte Savitsky. Außerdem ließen sich die Energie- und Umweltfragen der Zukunft nicht losgelöst vom Konflikt im Osten des Landes betrachten. Im Donezbecken befinden sich ca. 95 Prozent des nationalen Steinkohlevorkommens.
Die Arbeitsbedingungen in den Minen sind prekär. Sie verschlechtern sich seit den 90er Jahren stetig und seit der bewaffneten Auseinandersetzung wurden einige Bergwerke zusätzlich noch geflutet oder verschüttet. Gerade angesichts der existentiellen Probleme vor Ort sei das Thema Umweltschutz oft nebensächlich.
Dennoch beginnt auch in der Ukraine auf Regierungsebene ein Klimadialog. Vor einigen Jahren habe häufig noch das Verständnis für die Notwendigkeit des Klimaschutzes gefehlt, inzwischen diskutierten Parlamentsabgeordnete und Wissenschaftler gemeinsam über eine Klimastrategie für das Land. Dies liege nicht zuletzt daran, dass bei entsprechender Gesetzgebung im Bereich der Energieeffizienz eine weitreichende europäische Unterstützung zu erwarten sei. Der derzeitige Entwurf für die „Energiestrategie 2035“ sei dennoch äußerst bescheiden. Energieeffizienz und die Einführung erneuerbarer Energien seien zwar ein Thema, so Savitsky, Kohle spiele aber weiterhin eine tragende Rolle für die Energieversorgung. Weitgehend offen bleibe auch die Frage nach der sozialen Verträglichkeit des Kohleausstiegs und den Alternativen und Umschulungsprogrammen, die für die Bergarbeiter erforderlich werden würden. Schätzungen zufolge gab es im Jahr 2013 etwa 450.000 Beschäftigte in der Kohleförderung und -verarbeitung sowie in Kohlekraftwerken. Im Vergleich zum Ertrag sei diese Zahl – trotz aller statistischen Unsicherheiten bei diesen Überlegungen – sehr hoch, was auf eine sehr niedrige Arbeitsproduktivität schließen lasse. Abgesehen davon seien die Anlagen und Infrastruktur der monopolistisch aufgebauten Kohlewirtschaft zumeist überaltert, ineffizient und entsprächen in keiner Weise zeitgemäßen Umwelt- und Arbeitsschutzstandards. Savitsky betonte, dass die jungen Menschen, die in den Abbaugebieten leben, nicht mehr in der Berg- und Kohleindustrie arbeiten wollten und viele ehemalige Kohlestädte bereits jetzt zu Geisterstädten geworden seien.
Welche Optionen und Strategien gibt es angesichts dieser Ausgangslage? Wehnert verwies darauf, dass ein langfristig geplanter und gradueller Ausstieg auch mit einem Wirtschaftswachstum verbunden sein kann. Dies gelänge vor allem, so Caspar, durch die Implementierung internationaler Klimastandards und Kooperationsprojekte sowie durch die Orientierung an Ländern, die bereits erfolgreich auf erneuerbare Energien umgestellt hätten. Savitsky erinnerte daran, dass Pläne zur Modernisierung der Kohleindustrie bereits in den 90er Jahren durchweg gescheitert seien, was in erster Linie auf die weit verbreitete Korruption zurückzuführen sei. Er betonte, dass für die Transformation des Energiesektors ein starker politischer Wille sowie ein professionelles und attraktives Konzept, das private Investoren und die Europäische Union überzeugen könnte, von Nöten seien. Der Kohleausstieg müsse Teil eines umfassenden Reformpakets sein, das die Kommunen stärkt, die Bildung fördert und die Umsetzung von Finanzierungsvorhaben nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis sichert. Tatsächlich könnte in der Ukraine ein regelrechter Modernisierungsboom stattfinden, in dem staatliche, universitäre und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenarbeiten. Caspar verwies dafür auf eine Windkraftanlage in Kramatorsk, die Modellcharakter haben könnte und bei der ukrainische Hochschulen in Zusammenarbeit mit Studierenden und ausländischen Partnern Pionierarbeit geleistet hätten. Klimaziele können realisiert werden, wenn ein breiter zivilgesellschaftlicher Rückhalt vorhanden sei. Dies sei, darin waren sich die Teilnehmer einig, in der Ukraine grundsätzlich der Fall
Veranstaltungsbericht (PDF, 284 kB)