Die seit 1996 stattfindenden JOE-Tagungen richten sich an fortgeschrittene Studierende, Promovierende und PostDocs, die ihre Forschungsprojekte aus unterschiedlichen Fachdisziplinen mit einem Schwerpunkt auf Osteuropa vorstellen. Die Projekte werden von arrivierten Wissenschaftler*innen kommentiert und von allen Teilnehmenden diskutiert. Das Begleitprogramm beinhaltet thematische und praxisorientierte Komponenten. In jedem Jahr organisiert die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. die JOE-Tagung mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen. 2019 waren es die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und das Osteuropa-Kolleg NRW. Letzteres wurde durch die auf Osteuropa fokussierten Lehrstühle an der Ruhr-Universität Bochum vertreten, die entsprechend Ressourcen zur Verfügung stellte. Finanziert wurde die Tagung dementsprechend zusätzlich durch das Rektorat der Ruhr-Universität sowie die Fritz Thyssen-Stiftung.
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Die Tagung eröffnete Prof. Dr. Thomas Bremer, WWU Münster, mit dem Vortrag „Der ukrainische Kirchenstreit als Prisma der Osteuropaforschung“. Er erläuterte kurz die Hintergründe des Kirchenstreits, um anschließend auszudifferenzieren, wie die unterschiedlichen in der Osteuropaforschung vereinten Fachdisziplinen auf den Konflikt schauen und gegenseitig von der jeweiligen Expertise profitieren könnten. In der Diskussion wurde dieser Aspekt, der ein zentrales Ziel der interdisziplinär ausgerichteten Tagung widerspiegelt, weiter vertieft.
Unter dem Titel „Räume, Imaginationen und Praktiken. Böhmische Grenzlandperspektiven im 20. Jahrhundert“ widmeten sich die drei im Panel 1 versammelten Vorträge den Konstruktions- und Wahrnehmungsprozessen dieser klassischen mitteleuropäischen Geschichtsregion. Magdalena BURGER von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg betrachtete den Einfluss zunehmender nationaler Segregation auf den Publikumsverkehr in Prager Kaffeehäusern um das Jahr 1900. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich die Separation von deutscher und tschechischer Nation keineswegs eindeutig vollzog. Zwar avancierten manche Kaffeehäuser zu Anlauf- und Sammlungspunkten national aktiver Gruppen, zu Orten nationaler Selbstrepräsentation. Andere Kaffeehäuser indes waren und blieben als Kontakträume verschiedener Kulturen lebendig und vielfaltig und damit Orte der multikulturellen Begegnung und des Austauschs. Patrick REITINGER, ebenfalls Bamberg, befasste sich in einem Ausschnitt seines Promotionsprojektes mit der Rolle der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) in der jungen Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Zielte die DSAP in dem sich herausbildenden Nachkriegsstaat zunächst noch auf eine Herauslösung der Deutschsprachigen ab, so fand sich die Partei spätestens seit dem Herbst 1919 mit dem territorialen status quo ab und konzentrierte ihre Arbeit auf eine konstruktive Kooperation innerhalb der bestehenden Grenzen bis hin zur Regierungsbeteiligung. Die verschiedenen nationalen Gruppen innerhalb des sozialistischen Lagers vertraten vor wie nach 1918 unterschiedliche Interessen, die nicht nur in nationalen Belangen, sondern auch im Streit um die „wahre sozialistische Lehre“ differierten. Sprache, so der weiterführende Befund Reitingers, ist demzufolge kein alleiniger Marker für politische Programme gewesen, sondern die verfolgten Programme waren in erheblichem Maße von politischen Dynamiken abhängig, die zu teils überraschenden Bündnissen je nach der jeweils vorgefundenen, situationsbedingten Realität führten. Marie SCHWARZ von der Humboldt-Universität zu Berlin fragte nach dem Nachleben und der Neustrukturierung von Räumen im kulturellen Gedächtnis und dabei nach den Mechanismen performativ hergestellter Erinnerung und ihrer Verankerung im Raum. Als Grundlage dazu dienten ihr die Graphic Novels „Alois Nebel“ und „Bomber“ der Zeichner Jaroslav Rudiš und Jaromír 99, die die tschechischen Grenzgebiete als Handlungsorte wählen. Beide Graphic Novels, so Marie Schwarz’ These, lassen sich als Neubeschreibungen des Raumes verstehen, in denen Nachleben und Erleben in eine Wechselbeziehung manifestierter Gleichzeitigkeit eintreten. Dr. Christiane BRENNER vom Collegium Carolinum in München hob in ihrem Kommentar die Bedeutung des Raumes als Projektionsfläche für alle drei Forschungsvorhaben hervor. Der sozial produzierte Raum stellt eine Repräsentation dar, in dem an der Verwirklichung einer Idee, einem Projekt oder auch einem Gegenort gearbeitet werden konnte.
Das Panel 2 war mit zwei Vortragenden besetzt und schaute auf „Internationale Politikbeziehungen zwischen Symmetrie und Asymmetrie“. Mirko SCHWAGMANN von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg stellte seine Dissertation vor, in der er – unter anderem in Anlehnung an Hans-Jürgen Lüsebrink – den Technik- und Kulturtransfer zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indien sowie der Sowjetunion und Indien untersucht. An zwei Fallbeispielen machte Schwagmann die Diskrepanzen zwischen den Ansätzen der „Entwicklungshilfe“ auf und machte die Komplexität von Ost-West-Beziehungen auf dem Boden eines „neutralen“ Staates in den 1950er und 1960er Jahren deutlich. Im zweiten Vortrag stellte Dr. Mikheil SARJVELADZE seine an der Universität zu Köln abgeschlossene Dissertation zum Thema „Deutschland und der Südkaukasus. Georgien im Fokus deutscher Außenpolitik (1992–2012)“ vor. Sarjveladze konnte zeigen, dass dieses Forschungsfeld nach wie vor ein Desiderat ist und die deutsche Außenpolitik in ihrem Verhalten gegenüber Georgien, der alten Ostpolitik sowie den Verpflichtungen gegenüber den EU in zahlreichen Widersprüchen gefangen ist. Prof. Dr. Margarita M. BALMACEDA, Seton Hall University (USA) warnte in ihrem Kommentar vor zu viel persönlichem Engagement im Forschungsfeld und machte gerade in Bezug auf das erste Paper die Wichtigkeit einer zentralen Forschungsfrage deutlich. Dieser Aspekt sowie Fragen nach der theoretischen Fassung von Transfers wurden auch in der anschließenden Diskussion aufgegriffen und vertieft.
Das literaturwissenschaftliche Panel 3 drehte sich um Literatur und Geschichte und um das Erzählen von Erinnerung. Zunächst widmete sich Yuliya KOMARYNETS der Universität Leipzig dem Thema Krieg und Literatur. Über den prototypischen Kriegsroman „Vojna i mir“ (Krieg und Frieden, 1868/69) von Lev Tolstoj gelangte sie zum zeitgenössischen ukrainischen Roman „Internat“ von Serhij Žadan (2018) und zeigte u.a. die Unmöglichkeit auf, die kriegerische Auseinandersetzung im Osten der Ukraine in einem kohärenten und verständlichen Narrativ wiederzugeben. Im Beitrag von Aurelia OHLENDORF der Eberhard Karls Universität Tübingen ging es um die individuelle und gesellschaftliche Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit in der zeitgenössischen russischen Literatur. Mit Blick auf Marija Stepanovas Pamjati Pamjati (dt. u.d.T. Nach dem Gedächtnis 2018), Sergej Lebedevs „Ljudi avgusta“ (dt. u.d.T. Menschen im August, 2017) und auf Ljudmila Ulickajas „Lestnica Jakova“ (dt. u.d.T. Jakobsleiter, 2015) zeigte sie, wie vielschichtig die zeitgenössische Literatur die Vergangenheit aufgreift – und ihr eigenes Erzählen stets auf metafiktionaler Ebene mitreflektiert. Ganz ähnliche Fragen stellte sich auch Kristina VOGEL der Universität Hamburg in ihrem Beitrag zum Thema der sowjetischen Kindheit und der Frage nach der Täterschaft in Sergej Lebedevs „Predel zabven’ja“ (dt. u.d.T. Der Himmel auf ihren Schultern, 2010). Ihre Lektüre zeigt, wie sich der Roman mit Fragen von Schuld und Täterschaft auseinandersetzt, insbesondere mit dem Weitergeben kollektiver Schuld an Nachfolgegenerationen. In seinem umfänglichen Kommentar beleuchtete Prof. Dr. Christoph GARSTKA der Ruhr-Universität Bochum die drei Beiträge von unterschiedlichen Seiten und gab zahlreiche Denkanstöße für die Weiterentwicklung der drei Forschungsvorhaben. Angeregt durch seinen Kommentar wurde anschließend u.a. diskutiert, inwiefern Literatur wegen ihrem narrativen Element einen Sonderfall der kulturellen Vergangenheitsarbeit darstellt und nicht nur die Möglichkeiten erzählerisch-fiktiver Verfahren, sondern auch eine gewisse Begrenztheit der Literatur in die methodisch-analytischen Betrachtungen miteinbezogen werden müssen.
Panel 4 der Tagung war erneut mit zwei Vortragenden besetzt, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf „Kooperation und Konfrontation: Austauschprozesse zwischen Ost und West“ schauten. Mit ihrem Projekt zum sowjetischen Filmimport und -export von 1956 bis 1964 konnte Aline MEYENBERG von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz dabei überzeugend darlegen, wie kulturelle Austauschprozesse einerseits Konjunkturen der Außenpolitik sichtbar machen, andererseits jedoch die Kulturarbeit vor Ort von viel komplexeren Parametern geprägt war und daher Eigendynamiken entwickelte. Ähnliche Momente der versuchten politischen Steuerung sowie Unkontrollierbarkeit des kulturellen Austausches beobachtete Viktor KEMPF von der Albert-Ludwigs Universität Freiburg, der ebenfalls seine Dissertation vorstellte, die sich mit „Akteuren und Formen sowjetischer auswärtiger Kulturpolitik gegenüber Deutschland 1920–1933“ befasst. Er konstatierte, dass gerade Kulturtransfers in diesem Bereich im Gegensatz zu Wissenschaftsaustausch noch zu wenig erforscht seien. Beide Arbeiten richten sich gegen eine Vorstellung einer kompletten Trennung der „Blöcke“, sondern schauen im Sinne der New Cold War Studies auf verbindende Momente zwischen „Ost“ und „West“. In ihrem Kommentar wies Dr. Katja NAUMANN, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) Leipzig, darauf hin, dass dieser Fokus auf „spaces inbetween“, der beiden Arbeiten innewohnt, großes innovatives Potenzial berge. Sie riet außerdem dazu, den eigenen Anspruch nicht zu klein zu denken und etwa für das erste Projekt eine tiefergehende Verknüpfung mit der Globalgeschichte in Erwägung zu ziehen. In der anschließenden Diskussion gerieten einzelne der vorgestellten Akteur*innen noch detaillierter in den Fokus, wobei unter anderem die Frage nach spezifischer Auswahl und Qualifikation der in der Kulturarbeit Tätigen aufgeworfen wurde.
Panel 5 untersuchte in interdisziplinärer Perspektive den konservativen Wandel in Polen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Johannes KLEINMANN von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz betrachtete in einem historischen und sozialwissenschaftlichen Ansatz die Entwicklung der Reformen in Polen seit 1989. Im Ergebnis, so Kleinmann, war der ökonomische Transformationsprozess zwar überwiegend erfolgreich, indem die Reformpolitik aber als vermeintlich alternativlos kommuniziert wurde, sei der öffentliche Diskurs über die Wirtschafts- und Sozialpolitik und der ihr innewohnenden sozialen Folgen (gender-pay-gap, Erwerbsbeteiligung) abgeschnitten worden. Rebekka PFLUG von der Freien Universität Berlin gab auf rechtswissenschaftlicher Basis Einblicke in das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland und Polen. Ein Vergleich dieser zwei Länder sei lohnenswert, da in ihnen beiden die bei Schwangerschaftsabbrüchen berührten Schutzinteressen, das Recht auf Leben einerseits, das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit andererseits, von verfassungsrechtlichem Rang sind. Das weitere Forschungsvorhaben soll zum einen mithilfe eines rechtsdogmatischen Vorgehens klären, ob die jeweils vorherrschende Gesetzeslage von einer Grundrechtsverletzung betroffen ist. In einem weiteren Schritt soll mit einer Weitung der Perspektive von der verfassungs- zur strafrechtlichen Ebene die Entwicklung von Rechtstraditionen in Polen seit 1990 nachverfolgt werden. Dr. sc. pol. Kai-Olaf LANG von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hob in seinem ausführlichen Kommentar die Unterschiede zwischen subjektiven und objektiven Erfolgsfaktoren von Transformationsprozessen hervor und regte zugleich an, die an westlichen Demokratien entwickelte Transformationstheorie der unterschiedlichen Geschwindigkeiten (politisch, ökonomisch, sozial) am polnischen Beispiel einer Überprüfung zu unterziehen.
Das interdisziplinäre Panel 6 widmete sich russischen Auslandsnetzwerken in Vergangenheit und Gegenwart. Marina CHERNYKH der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg präsentierte ihre Arbeit zum ‚russischen Berlin‘ in der nationalsozialistischen Diktatur. Ihre Untersuchung diverser Vereine und Gruppierungen – kultureller wie politischer – in Hinblick auf deren Beziehungsnetz und Diskursstrategien schließt eine Lücke sowohl in der Erforschung der ersten Welle der sowjetischen Emigration wie auch in Bezug auf die Landschaft ausländischer Vereine und Gruppierungen in Nazideutschland. Der Organisation „NTS“ (Narodno-Trudovoj Sojuz rossijskich solidaristov; Volksarbeitsbund der russischen Solidaristen) widmete sich Irina PARKHOMENKO der Ruhr-Universität Bochum. Im Rahmen der Antikommunismus-Forschung untersucht sie, wie die Exilorganisation NTS zwischen 1956 und 1991 agierte und einerseits eine historisch-kulturelle Kontinuität zwischen dem vorrevolutionären, dem sowjetischen und dem postsowjetischen Russland darstellt, andererseits auch eine Brückenfunktion zwischen den Sowjetbürger*innen im Inland und den Exilant*innen der westlichen Öffentlichkeit einnahm. In seinem Beitrag untersuchte Alexander MISHNEV der Universität St. Gallen die Stiftung „Russkij mir“, die sich seit 2007 der Förderung einer positiven Wahrnehmung Russlands in der ausländischen Öffentlichkeit widmet und insbesondere Russischsprachige weltweit im Rahmen kultureller Projekte zusammenbringt. Kommentiert wurden die drei Beiträge von Prof. Dr. Maike LEHMANN der Universität zu Köln. Ihr ausführlicher und vielfältiger Kommentar mündete in einer äußerst lebendigen Diskussion. Dabei ging es beispielsweise um die brisante Frage, wie man bei der Untersuchung politisch heikler Themen die Erwartungen von Leser*innen aufgreifen kann, ohne dabei aber seine eigene dezidiert wissenschaftlich-analytische Herangehensweise zu gefährden.
Panel 7 behandelte Wandlungs- und Verwandlungsprozesse des Raumes. Dafür untersuchte Dániel LUKA von der Universität Pécs die rechtliche Umsetzung der Bodenreform in Ungarn im Zeitraum von 1945 bis 1967. Detailreich zeichnete Luka die Methoden der sozialistischen Agrar- und Bodenpolitik nach. Der Prozess der Verstaatlichung verlief keineswegs linear, sondern kannte Anfang der 1950er-Jahre unter Imre Nagy zarte Versuche der Stärkung des Privateigentums, die 1956 gewaltsam abgeschnitten wurden. Ajla BAJRAMOVIĆ von der Universität Wien beschäftigte sich mit den Rathäusern „maurischen Stils“, die die habsburgische Verwaltung im ausgehenden 19. Jahrhundert im Nordosten Bosniens errichten ließ. Im Bestreben, das kontrollierte Gebiet gleichermaßen zu Orientalisieren wie seiner Bevölkerung ein positives Identifikationsangebot zu schaffen, wurden die historisierenden Fassaden neuer Gebäude im Stil des iberischen Mittelalters gestaltet, der in der zeitgenössischen Architekturtheorie als idealtypischer muslimischer Baustil galt. Im Endergebnis war nach starken Auftakten ein kontinuierlicher Abschwung zu verzeichnen: Waren die in den frühen 1890er-Jahren errichteten Rathäuser in den urbanen Zentren der Region mit pittoresken, monumentalen Elementen versehen, herrschte in den später errichteten, in stärker provinziellen Kontexten verorteten Gebäuden ein reduzierter, funktionaler Stil vor, ehe der „maurische“ Stil um die Jahrhundertwende außer Gebrauch kam. In ihrem Kommentar, dem sich eine angeregte Diskussion anschloss, empfahl Jun.-Prof. Dr. Ing. Carola Silvia NEUGEBAUER von der RWTH Aachen nicht nur die von den jeweiligen Akteur*innen erfolgreich umgesetzten Projekte in der Darstellung zu berücksichtigen, sondern auch gescheiterte Vorhaben nachzuverfolgen und wo möglich in die Analyse zu integrieren.
Panel 8 stand unter dem Titel „Kolonisierung des Ostens im Zweiten Weltkrieg mittels Baupolitik am Beispiel der Städte in Schlesien, im Warthegau und dem Generalgouvernement“. Da die Vortragenden ihr Panel gemeinsam konzipiert hatten, standen die Beiträge in einer engen Verbindung zueinander. Dr. Aleksanda Paradowska, Uniwersytet Artystyczny w Poznaniu (Polen), zeigte am Beispiel Wieluńs, das teilweise als das polnische Guernica bezeichnet wird, den Spagat zwischen propagandistischem Anspruch, von Herman Jansen eine Stadt mit außerordentlichem Prestige planen zu lassen und der tatsächlichen Umsetzbarkeit einer einheitlichen Ästhetik im „Heimatstil“ in der Kriegssituation und arbeitete heraus, dass zuletzt im Vordergrund stand, neu Gebautes zumindest als „deutsch“ bezeichnen zu können. Dr. Małgorzata POPIOŁEK-ROSSKAMP, Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, stellte einen ähnlichen Pragmatismus für den Fall der Stadt Zakopane fest, die zunächst als Kurort für die polnische Elite geplant gewesen war und mit Beginn der Besatzung lediglich die Zielgruppe wechselte. Da Karolina JARA, Universität Breslau/Hochschule Mainz, nicht selbst anwesend sein konnte, wurden Teile ihres Papers verlesen. Ihr Promotionsprojekt macht deutlich, dass die städtebaulichen Aktivitäten der deutschen Besatzung in Oberschlesien die besondere propagandistische Bedeutung dieser Region belegen. In ihrem Kommentar betonte Dr. Annika WIENERT, Deutsches Historisches Institut Warschau, dass die in den Papers gezeigte Öffnung der Kunstgeschichte in Richtung der (Architektur-)Geschichte die bisherige Forschung zum Nationalsozialismus entscheidend bereichert, indem sie einerseits bekannte Ergebnisse etwa zur Behördenkonkurrenz bestätigt, andererseits die nationalsozialistische Vorstellung von Moderne differenziert beleuchtet und ihr Verständnis vertieft. Wienerts ausführlicher Kommentar, der auch die Akteursebene stärker beleuchtete, wurde in der anschließenden intensiven Diskussion aufgegriffen und um erinnerungskulturelle Fragestellungen erweitert.
Panel 9, das den Konfliktfaktoren bedrohter Zivilgesellschaften gewidmet war, musste entfallen.
In Panel 10 beschäftigten sich zwei sehr unterschiedliche Projekte mit erinnerungskulturellen Praktiken und Geschichtspolitik. Zunächst stellte Paula LANGE, Freie Universität Berlin, ihre Masterarbeit zur Erinnerung an weibliche Akteurinnen in der Solidarność-Bewegung vor. Sie konnte am Beispiel des Instituts für nationales Gedenken (IPN) aufzeigen, dass Frauen nur dann in das offizielle erinnerungskulturelle Narrativ aufgenommen werden, wenn sie sich wie etwa Anna Walentynowicz entsprechend ihrer Geschlechterrolle in dieses einpassen lassen. Lange wies jedoch darauf hin, dass diese eher antifeministische Erinnerungskultur nicht erst seit 2015 in Polen präsent ist. Dr. Viktoriia SVYRYDENKO, Visiting Research Fellow Herder-Institute for Historical Research on East Central Europe, Marburg/Charkiv, befasste sich mit der Repräsentation imperialer Vergangenheit in den Stadtlandschaften der Post-Sowjetischen Ukraine. Angesichts des frühen Stadiums ihrer Arbeit stellte sie vor allem methodische Ansätze zur Umsetzung ihres Projektes vor, etwa das der entangled memories nach Feindt. In ihrem umfassenden Kommentar stellte Prof. Dr. Gelinada GRINCHENKO, V.-N.-Karazin Universität Charkiv (Ukraine), einige grundlegende Fragen. Beiden Projekten legte sie nahe, die erinnerungskulturellen Fragestellungen mit Methoden der Oral History zu erweitern. Außerdem empfahl sie dringend die konsistente Definition von grundlegenden Begriffen wie etwa dem des „Imperialen“. In der Diskussion wurden diese Fragen des Forschungsdesigns weiter aufgegriffen, auch wurde die persönliche Motivation der Forschenden gerade bei einem feministisch ausgerichteten Forschungsprojekt problematisiert.
Panel 11 widmete sich den komplexen Themen von Raum, Sprache und Identität aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven. Zunächst präsentierte Polina ASTASCHKINA der Staatlichen Universität Nowgorod ihre linguistische Studie zur sprachlichen Repräsentation der russischen nationalen Identität im russischen und deutschen Mediendiskurs. Dabei betrachtet sie zwei politisch brisante Themen – den Dopingskandal im Rahmen der Olympischen Spiele und die Präsidentschaftswahlen 2018 – und untersucht Online-Kommentare sowohl zu Beiträgen in sogenannten Qualitätsmedien wie auch in sozialen Medien. Die Soziologin Laura ERAS der Ludwig-Maximilians-Universität München präsentierte ihre Forschung zur Wahrnehmung russischsprachiger Ukrainer*innen in der Ukraine. Sie zeigte anhand quantitativer Daten, wie sich die Beziehung zwischen Russischsprachigen und Ukrainischsprachigen in den letzten Jahren veränderte – und wie sich dabei aber auch zeigt, dass die breite Bevölkerung durchaus differenziert mit der Komplexität des Verhältnisses von Sprache und Identität umzugehen vermag. Im letzten Beitrag untersuchte Alina JAŠINA-SCHÄFER der Justus-Liebig-Universität Gießen den Umgang mit Räumlichkeit und Zugehörigkeit in der estnischen Grenzregion Narva. Ihre Feldforschung zeigt die unterschiedlichen narrativen Strategien, wie die russischsprachige Minderheit – die staatenlosen „Nichtbürger“ Estlands – ihre eigene Identität sinnstiftend verhandeln. Das Panel wurde von Dr. Mark BRÜGGEMANN der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg kommentiert, der auf jeden der drei Beiträge ausführlich einging und gerade aus der Interdisziplinarität des Panels ganz unterschiedliche Fragen schöpfte, die sich auf alle drei Beiträge beziehen. So stand v.a. auch die Frage im Zentrum, wie Sprache und Identität zusammenhängen und wie wir in unserer Forschung mit der Nicht-Konvergenz dieser beiden Kategorien umgehen können.
Das die Tagung abschließende Panel 12 befasste sich mit neuen Forschungen zu Osteuropa als Ort von Krieg und Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Felix MATHEIS von der Universität Hamburg zeichnete die Aktivitäten Hamburger und Bremer Firmen im Generalgouvernement nach. Durch die britische Seeblockade ab 1939 ihrer Geschäftskontakte in Übersee beraubt, richteten hanseatische Unternehmen ihren Blick auf ökonomische Betätigungsfelder in den neu eroberten Gebieten im Osten Europas. Durch die Kooperation der Handelsfirmen mit der deutschen Regierung des Generalgouvernements konnten sie – der Krise des Außenhandels zum Trotz – von der Kriegswirtschaft profitieren und waren unter anderem maßgeblich an der Enteignung der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Norman SALUSA vom Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien in Berlin-Brandenburg untersuchte die Entwicklung jüdischer Rotarmisten als Funktionselite der Sowjetarmee mithilfe von Ego-Dokumenten, in denen die sowjetisch-jüdische Zugehörigkeit verhandelt wurde. Anders als die zaristische Armee, die Juden verschlossen blieb, stellte die Rote Armee einen Karriereweg für die jüdischstämmige Bevölkerung der Sowjetunion dar, die in der Folge überdurchschnittlich häufig im Offizierskorps anzutreffen war. Den Niedergang der jüdischen Armeeangehörigen datierte Salusa auf die Zeit um das Jahr 1952, als die spätstalinistischen Säuberungen zahlreiche Opfer forderten, darunter 13 Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees. Judith VÖCKER von der University of Leicester gab Einblicke in ihr im Anfangsstadium befindliches Promotionsprojekt, das der strafrechtlichen Verfolgung durch die deutsche Gerichtsbarkeit während der nationalsozialistischen Besatzung in den beiden Städten Warschau und Krakau gewidmet ist. Die forschungsleitende Frage ist, ob es den deutschen Machthabern gelang, ein einheitliches Rechtssystem zu etablieren. Von einer Gegenüberstellung von Gerichtsurteilen gegen Juden, Polen und „Volksdeutsche“ erhofft sich Vöcker vertiefende Erkenntnisse über den rechtlichen Status der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – auch und gerade im Wandel der Kriegsverlaufs. In ihrem Kommentar beschäftigte sich Dr. Andrea LÖW vom Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München detailliert mit allen drei Projekten. Dabei stellte sie Fragen unter anderem zu individuellen Handlungsspielräumen der jeweiligen Akteure und hob Synthesepotenziale zwischen den Projekten hervor, etwa der strafrechtlichen Verfolgung deutscher Unternehmen im Generalgouvernement durch die nationalsozialistischen Behörden vor Ort.
Datum:
12.07. bis 14.07.2019
Bochum
Sprache(n):
Deutsch
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Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde