Moldau nach den Präsidentschaftswahlen
Die Republik Moldau bekommt mit Maia Sandu eine neue Präsidentin. Die Herausforderin der pro-europäischen und liberalen Partei Aktion und Solidarität gewann mit 57,72% der Stimmen. Sie löst den Amtsinhaber Igor Dodon von der sozialistischen Partei ab, der 42,28% erhielt. Warum ist der Herausforderin der Sieg über den Amtsinhaber gelungen? Welche Ziele wird Maia Sandu während ihrer Präsidentschaft verfolgen? Was bedeutet ihr Wahlsieg für die demokratische Entwicklung Moldaus? Und welchen außenpolitischen Kurs wird die neue Präsidentin einschlagen?
Podiumsgäste
Fritz FELGENTREU
MdB (SPD), Vorsitzender des Deutsch-Moldauischen Forums e. V.
Juliane SCHULTE
Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien und der Republik Moldau
Moderation
Henri KOBLISCHKE
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (DGO), Berlin
Veranstaltung in Kooperation mit dem Deutsch-Moldauischen Forum
Veranstaltungsprogramm
Veranstaltungsflyer (PDF, 357 kB)
Veranstaltungsbericht
Bericht: Henri Koblischke
Die Republik Moldau hat eine neue Präsidentin. Die pro-europäische liberale Herausforderin Maia Sandu gewann die Stichwahl am 15. November 2020 gegen den sozialistischen Amtsinhaber Igor Dodon eindeutig mit 57 zu 42 Prozent. Über die Implikationen des Wahlausgangs diskutierten der Vorsitzende des Deutsch-Moldauischen Forums Fritz FELGENTREU und Juliane SCHULTE, die Repräsentantin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien und der Republik Moldau.
Im Rückblick auf den Wahlkampf bilanzierte Schulte, Dodons Taktik der Diskreditierung seiner Gegnerin sei nicht aufgegangen. So behauptete Dodon, Sandu wolle den Konflikt um das separatistische Transnistrien militärisch lösen, russische Schulen schließen oder die gleichgeschlechtliche Ehe einführen. Im Gegensatz dazu zielte Sandus Wahlkampf darauf ab, „die soziale Frage in den Mittelpunkt zu rücken“ und nicht die geopolitische Orientierung des Landes, meinte Felgentreu. Viele Menschen hätten Sandu als Politikerin gewählt, die sich endlich um das Land und die innenpolitischen Fragen kümmere.
Als Gründe für Dodons Niederlage identifizierte Schulte drei Aspekte: Erstens sei Dodon im Gegensatz zu Sandu bei der Korruptionsbekämpfung nicht mehr glaubwürdig. Zweitens, sei die wirtschaftliche Situation durch die Corona-Pandemie und eine Dürre, die das Agrarland schwer treffe, angespannt. Drittens votierte die Diaspora, die dazu neigt, liberale Kandidaten zu wählen, mit über 90 Prozent für Sandu – nicht zuletzt, weil Dodon sie nach dem ersten Wahlgang als „paralleles Elektorat“ bezeichnete.
Felgentreu sieht das Wahlergebnis als „glasklares Signal“ für den Wählerwunsch nach anderen Verhältnissen. Allerdings gebe es keine revolutionäre Umwälzung der politischen Konstellation, da das Parlament weiterhin von den Sozialisten dominiert werde. Im parlamentarischen Regierungssystem Moldaus verfügt die Präsidentin nur über eingeschränkte Befugnisse. Dass in den letzten Jahren ein anderer Eindruck entstanden sei, lag laut Felgentreu an der starken Position Dodons in der sozialistischen Partei. Dieser habe sich als ein Präsident inszeniert, der aus dem Präsidialamt heraus durchregiere.
Eine Zusammenarbeit der Regierung und anderer Fraktionen mit Sandu und ihrer Partei „Aktion und Solidarität“ (PAS) ist laut Schulte unwahrscheinlich, da es keine Kooperationskultur gebe. Laut Felgentreu wäre es eine logische Konsequenz, dass Sandu die Dynamik ihres Wahlsiegs nutzt, um durch vorgezogene Neuwahlen eine stärkere Position im Parlament zu erringen. Die Hürden für Neuwahlen sind jedoch hoch, wie Schulte unterstrich. Die anderen Parteien seien weniger erpicht auf Neuwahlen. Ganz im Gegenteil könne sich Dodon nun womöglich sogar als Ministerpräsident wählen lassen. Kurzfristig könnten sich die Sozialisten auf informelle Koalitionen stützen, langfristig sei die Lage aber instabil und vorgezogene Neuwahlen nicht auszuschließen.
Sowohl Felgentreu als auch Schulte zeichneten ein von vielen Unbekannten geprägtes Bild der moldauischen Politik. So muss die PAS nun fortan ohne ihre Gallionsfigur Sandu auskommen. Der 2019 aus dem Land geflohene Oligarch Vlad Plahotniuc sei nach wie vor ein politischer Akteur, meinte Schulte. Er verfüge noch immer über Einfluss, etwa durch die Fraktion Pro Moldova. Zudem besitze er weiterhin Druckmittel gegenüber vielen Politikern. Angesprochen auf Parallelen zu Rumänien, wo der Machtkampf über die Korruptionsbekämpfung zwischen der sozialdemokratischen Regierung und dem liberalen Präsidenten eskalierte, mutmaßte Felgentreu, dass man womöglich über eine Amnestieregelung für Korruptionsvergehen nachdenken müsse. Dies sei womöglich ein pragmatischer, wenn auch schwerer Weg, um Fortschritte zu erzielen.
Außenpolitisch war Moldau unter Dodon isoliert, ganz im Gegensatz dazu sei Sandu im Ausland sehr beliebt, sagte Felgentreu. „Atmosphärisch wird sich viel verändern“, wagte er einen Ausblick auf die Beziehungen Moldaus zur Europäischen Union. „Wenn sie eine Europareise macht, dann werden ihr alle Türen offenstehen“. Schulte prognostizierte, dass sich insbesondere die Beziehungen zum Nachbarland Rumänien verbessern werden. Dodons Beziehungen zu Bukarest seien „extrem schlecht“ gewesen, nicht zuletzt aufgrund seiner pro-russischen Einstellung. Die Freude über Sandus Wahlsieg sei dementsprechend in Rumänien groß gewesen. Sowohl Felgentreu als auch Schulte erinnerten aber daran, dass Außenpolitik vor allem von der Regierung gemacht werde. Aller Sympathie für Sandu zum Trotz forderten sie daher, die EU-Hilfen weiterhin zu konditionieren.
Generell, so Felgentreu, gelte es für Sandu, ein erfolgreiches Erwartungsmanagement zu betreiben. Sie müsse realistische Szenarien präsentieren und gleichzeitig die vielen auf sie projizierten Hoffnungen nicht enttäuschen. Unmittelbar nach ihrer Wahl nahm bereits der erste Machtkampf Gestalt an. Auf Antrag der Sozialisten entzog das Parlament der Präsidentin die Aufsicht über die Geheimdienste. Sandu rief daraufhin die Bürger zum Protest auf.