From Berlin Wall to New Conflict:

Eastern European Cleavages and Encounters

The international symposium organized in cooperation with the German Association for East European Studies (DGO) will serve as a core event of the celebration and, at the same time, as a platform for discussing the cultural, political, economic and social complexities of Eastern Europe in the last thirty years. Prominent researchers from a variety of countries and disciplines will come together to take stock of the fault lines dividing Eastern Europe and linkages connecting Eastern European countries to each other and to the rest of the world.

Three panels of the symposium will look at the consolidation of authoritarian regimes in Eastern Europe; state capitalism and its role in economic and social development; as well as civic culture, protests and dissidence in Eastern European countries. Thus, they will address issues, which both are crucially important for Eastern European societies themselves and make Eastern Europe important for the world. Furthermore, two special events of the symposium will look at Berlin as a place of encounters – both between Western and Eastern Europe and between political practice and academic research on Eastern Europe.

The keynote talk at the symposium will be delivered by Karl Schlögel; an incomplete list of further participants includes Taciana Arcimovič, Sabine Fischer, Paul Gregory, Tomila Lankina, Viktoria Lomashko, Andrei Melville, Mitchell Orenstein, Richard Sakwa, Gwendolyn Sasse, Laura Solanko, Andrei Yakovlev and Klementyna Suchanow.

The conference takes place in a hybrid format. For participation (online or offline), please send an e-mail to Maria Merk (Aktivieren Sie JavaScript, um diesen Inhalt anzuzeigen.) indicating the preferred format of participation. Please be aware that for the offline participation 3G rule applies.

Veranstaltungsprogramm

Symposium_Program (PDF, 189 kB)

© Bernd Wannenmacher
© Bernd Wannenmacher

Veranstaltungsbericht

Bericht: Guram Kvaratskhelia

Das Symposium zum 70. Jahrestag des Osteuropa-Instituts (OEI) der Freien Universität Berlin bot eine multidisziplinäre Bestandsaufnahme der Ost-West-Verflechtungen und der langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region. Die Panels des Symposiums widmeten sich drei zentralen Themen der aktuellen Entwicklungen in Osteuropa: der Konsolidierung und Stabilität von autoritären Regimen, dem Staatskapitalismus und dessen Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung und der bürgerlichen Kultur des Protests. Eine begleitende Ausstellung über die Geschichte des OEI ermöglichte einen Rückblick auf dessen Anfänge und wichtigste Stationen.

Das erste Panel widmete sich politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Politikwissenschaftlerin Tomila LANKINA von der London School of Economics and Political Science zeigte Kontinuitäten vom Zarenreich über die Sowjetunion bis zum modernen Russland auf. Laut Lankina löschte die russische Revolution nicht alle sozialstrukturellen Unterschiede aus und vollzog daher keinen kompletten Bruch mit der Vergangenheit. Im Gegenteil, konnten die Gruppen, die im Zarenreich über einen hohen Bildungsstand verfügten, ihren sozialen Status replizieren. Zahlreiche gesellschaftliche Anpassungsstrategien erlaubten es den Bildungsschichten, sogar das repressive Umfeld der UdSSR erfolgreich zu überleben. Das Erbe dieser sozialen Gruppen beeinflusst auch die politische Entwicklung des heutigen Russlands. Andrei YAKOVLEV von der Moskauer Higher School of Economics thematisierte die Entwicklung des russischen Wirtschafssystems seit 1990 und dessen Verflechtungen mit der Politik. Der Versuch in den 1990er Jahren, eine liberale Marktwirtschaft in Russland aufzubauen, sei aus strukturellen Gründen gescheitert, da russische Unternehmen nicht wettbewerbsfähig genug gewesen seien. Der Versuch in den Jahren 2004-2011, einen Staatskapitalismus à la China oder Südafrika einzuführen, sei aufgrund mangelhafter Regierungsführung gescheitert. Was wir seit 2012 in Russland beobachten, stelle ein neues Modell des Kapitalismus dar, das sich auf Importsubstituierung, sozialpolitische Stabilität und effizientes Regieren konzentriere. Im besten Fall führe dieser Weg zur Marginalisierung des sozialpolitisch stabilen Russlands in der globalen Wirtschaft und im schlimmsten Fall zu einer Krise, die mit 1991 vergleichbar wäre. Henry HALE von der George Washington University beschäftigte sich mit der Rolle einzelner historischer Ereignisse für die Entwicklung von autoritären Systemen. Er schlug vor, nicht nur die strukturellen Faktoren des Autoritarismus in Betracht zu ziehen, sondern auch außergewöhnliche „Events“, die eine durchaus starke gesellschaftliche Wirkung haben. Die Spuren der Massenbegeisterung über die Annexion der Krim in Russland ließen sich beispielsweise in den russischen Fertilitätsraten beobachten. Andrei MELVILLE von der Higher School of Economics analysierte in seinem Vortrag die Struktur, den Aufbau und die Entwicklung des politischen Systems Putins und die Faktoren von dessen (In)stabilität.

Die zweite Diskussionsrunde widmete sich wirtschaftlichen Aspekten der Osteuropaforschung, insbesondere dem Staatskapitalismus. Mitchell ORENSTEIN von der University of Pennsylvania analysierte die wirtschaftlichen Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion und des Niedergangs des Sozialismus in Osteuropa. Der Übergang zum marktwirtschaftlichen System könne nicht nur auf Basis wirtschaftlicher Indizien verstanden werden. Man brauche eine Vielfalt von Datenquellen und Ansätzen, um das Thema erfassen zu können. Einzelne gesellschaftliche Gruppen erlebten den Zerfall des Sozialismus und seine Konsequenzen auf unterschiedliche Weise. Orenstein stellte zwei verschiedene Modelle der postsozialistischen Entwicklung gegeneinander: die J-Kurve und den Katastrophen-Kapitalismus. Die J-Kurve beschreibt einen blitzartigen wirtschaftlichen Abschwung gefolgt von einem relativ stabilen Aufschwung. Der Katastrophen-Kapitalismus geht von einem dauerhaften Rückgang des Wohlstands nach dem Ende des Sozialismus aus. Nach Orenstein sind häufig beide Szenarien zeitgleich innerhalb desselben Landes in verschiedenen sozialen Schichten zu beobachten. Daher müsse man sich in der Analyse auf individuelle Erfahrungen einzelner Gruppen fokussieren. Sowohl die J-Kurven-Interpretation als auch das Szenario des Katstrophen-Kapitalismus- seien korrekte Abbildungen der Realität, schlussfolgerte Orenstein. Daher sei es wichtig, die Transformation multidisziplinär und im Hinblick auf Ungleichheit zu erforschen. Laura SOLANKO vom Bank of Finland Institute for Emerging Economies (BOFIT) zeigte, wie externe globalwirtschaftliche Ereignisse und die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der russischen Regierung in den 1990er Jahren die russische Wirtschaftspolitik prägten. Laut Solanko führten die entfesselte Liberalisierung und Privatisierung jener Zeit sowie die darauffolgende Finanzkrise zu folgendem wirtschaftspolitischem Konsens: Aufbau von Resilienz durch konservative Finanzpolitik und Bewahrung makroökonomischer Stabilität. Im 21. Jahrhundert habe sich die wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität durchgesetzt, was allerdings nicht zu einer allgemeinen Verbesserung der materiellen Lage geführt habe. Die größte Herausforderung für die russische Wirtschaft, so Solanko, stelle die bevorstehende globale Energiewende dar, da sie eng mit Innovation und angewandten Forschungsprojekten, also mit riskanten Unternehmungen verbunden sei. Ob der russische Staat fähig ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, sei eine offene Frage. Paul GREGORY vom Hoover Institute warf einen Blick auf die Anfangsphase der volkswirtschaftlichen Forschung zum Thema Sowjetunion. Er skizzierte die wichtigsten Beiträge der frühen sowjetologischen Wirtschaftsforschung und beschrieb die einfache Beobachtung, den „naiven Empirismus“, als eine sehr erfolgreiche Methode zum Erforschen der intransparenten sozialistischen Staaten.

In der dritten Diskussionsrunde kamen Aktivist*innen und Künstler*innen aus Osteuropa zu Wort. Um welche Zukunft ging es den Protestierenden, die sich im Herbst 2020 nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus an den Straßenprotesten beteiligten? Welche Bedeutung haben die Begriffe Freiheit und Transformation und wie stehen die Chancen für eine selbstbestimmte politische Transformation? Laut Taciana ARCIMOVIC, Künstlerin und Chefredakteurin der Internetplattform pARTisan, seien das die Fragen, die sich politisch unterdrückten Gruppen in Belarus stellen. Die Kunst und das geschriebene Wort gäben Antworten auf solche Fragen. Die polnische Aktivistin Klementyna SUCHANOW veranschaulichte das enorme Potential von Kunst als politisches Instrument. Die Mitbegründerin der Protestbewegung Allpolnischer Frauenstreik zeigte, wie Aktivist*innen diverse künstlerische Maßnahmen ergreifen, um die Gesellschaft gegen die Bemühungen der Regierung zu mobilisieren, das Recht auf Abtreibung zu beschneiden. Dabei unterstrich Suchanow die Rolle digitaler Vernetzung für Protestbewegungen. Die Moskauer Künstlerin Wiktorija LOMASKO sprach über die gegenwärtige Lage der politischen Kunst in Russland und über die verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie darauf. Zudem stellte sie dem Publikum eigene Arbeiten vor, in denen sie den Alltag der russischen Subkulturen und Aktivist*innen grafisch darzustellen versucht.

Den Abschluss des Symposiums bildete eine Debatte über die „richtige“ europäische Strategie im Umgang mit Russland. Die Diskussion zwischen Gwendolyn SASSE vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien und Richard SAKWA von der University of Kent lieferte kontroverse Perspektiven auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Osteuropa. Sakwa verglich den heutigen Ost-West-Konflikt mit dem Kalten Krieg, ging aber davon aus, dass der gegenwärtige Konflikt länger als der im Kalten Krieg bestehen bleiben wird. Weil Multilateralismus einen enormen Einfluss auf das Regierungshandeln ausüben und somit die autoritären Tendenzen Russlands unterbinden könne, sei es notwendig darüber nachzudenken, wie Europa Russland fester in die internationale Gemeinschaft einbinden kann. Sasse äußerte mehr Skepsis über die Perspektiven des Dialogs mit Russland.

Das Symposium brachte zahlreiche Kontroversen in der Osteuropaforschung über die Bewertung der Entwicklungen im östlichen Europa zur Sprache und verdeutlichte die immense Bedeutung der Pluralität von Ansätzen zur Erforschung der Region.

Veranstaltungsbericht (PDF, 147 kB)

Datum:
12.11., 10:00 Uhr bis 13.11.2021, 16:30 Uhr

Ort:
Freie Universität Berlin
Hörsaal A
Garystraße 55
Berlin

Sprache(n):
Englisch

Programm:

Symposium_Program (PDF, 189 kB)

Kooperationspartner:
Logo KooperationspartnerLogo Kooperationspartner