For detailed information on the congress program and the registration form see www.ceecon.de
This autum, the DGO will hold the first DGO Congress of Central and East European Studies (ceecon) at the Freie Universität Berlin. CEECON brings together experts from all disciplines in the field of Central and East European studies. Thus, it is an exchange forum for discussing latest research findings on the region.
Plenary sessions offer academic exchange on topics relevant to all scholars from the field. Seven discipline-specific sections tackle research questions from a broad variety of topics and methodological approaches. A special time slot is reserved for the presentation of research projects by junior scholars.
The effects of the Russian war against Ukraine on research questions and approaches in East European Studies and international academic collaboration in times of war will be discussed from various disciplinary perspectives.
ceecon is complemented by the screening of the Ukrainian film “Homeward” on the second day, accompanied by an expert discussion in the Berlin cinema Arsenal.
Registration for ceecon is open. Please see https://ceecon.de/en/registration/
Im Oktober 2022 richtete die DGO gemeinsam mit der Freien Universität Berlin den ersten DGO-Congress of Central and East European Studies (ceecon) aus. Der zweitägige Kon-gress brachte Wissenschaftler*innen aus mehr als 15 Ländern zusammen. Sieben parallele Sektionen boten Foren für einen Austausch zu geistes- und sozialwissenschaftlichen Aspekten der osteuropabezogenen Forschung sowie zu Fragen wirtschaftlicher und recht-licher Aspekte. Dabei standen sowohl inhaltliche Themen als auch methodische Fragen zur Diskussion. Jungen Wissenschaftler*innen bot der Kongress die Möglichkeit, eigene Forschungsprojekte vorzustellen.
Die Themen und Diskussionen des Kongresses waren deutlich vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt, der die Forschung zu Ostmittel- und Osteuropa unmittelbar beeinflusst. Der Präsident der DGO, Ruprecht POLENZ, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass wissenschaftliche Arbeit immer vom sozialen und politischen Kontext beeinflusst sind. Der Krieg mache dies auf besonders schmerzhafte Weise deutlich. Die Wissenschaft könne aber auch Impulse in Gesellschaft und Politik geben. Auch deshalb sei der Kongress sehr wichtig. Günter ZIEGLER, Präsident der Freien Universität verwies darauf, dass Wissen-schaftsfreiheit und internationaler Friede keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg sind, für das die Geschichte der Universität selbst ein eindrückliches Beispiel darstellt. Die Dekanin des Osteuropa-Instituts der Universität, Katharina BLUHM, betonte die Solidarität des Instituts mit allen bedrohten Wissenschaftler*innen.
Zum Auftakt diskutierte der Ökonom Michael ROCHLITZ (Universität Bremen) mit der Sozialwissenschaftlerin Tomila LANKINA (London School of Economics) und dem Historiker Martin SCHULZE WESSEL (Ludwig-Maximilians-Universität München) über die Auswirkungen der Transformation auf die wissenschaftliche Forschung zu Ostmittel- und Osteuropa. Lankina fasste die wichtigsten Trends der vergangenen 30 Jahre aus sozial-wissenschaftlicher Perspektive zusammen: den Übergang von den so genannten area studies zu einer stärker disziplinär basierten Forschung, die zunehmende Dominanz der quantitativen Forschung und die Konzentration auf urbane Schichten und Protestbewegungen im Gegensatz zum vorherigen Fokus auf die Arbeiterschaft. Diesen Paradigmenwechsel führte sie auch darauf zurück, dass die wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Schichten sowie die ländliche Bevölkerung mit sozialwissenschaftlichen Umfragen kaum erreicht werden konnten: „those who were left behind were also left behind in research“. Über die große schweigende Mehrheit ließen sich daher heute kaum valide Aussagen treffen. Angesichts der aktuellen militärischen Eskalation betrachtete Lankina es retrospektiv auch als Fehler, Russland, im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien, nicht stärker unter dem Paradigma des Post-Kolonialismus zu betrachten.
Hier setzte die Analyse von Schulze Wessel an. Für die geschichtswissenschaftliche For-schung diagnostizierte er ein Dilemma: Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte die Geschichte der europäischen Imperien des 19. Jahrhunderts eine positive Neuinterpretation. Die pauschale Kategorisierung von Imperien als „Völkergefängnissen“ wurde zurecht in Frage gestellt. Das Imperium wurde damit, überspitzt formuliert, zum erfolgreichen Manager von Diversität stilisiert. Diese Sichtweise versperrte den Blick auf die nationalen Bewegungen, die gerade das Russische Reich als koloniales „Völkergefängnis“ erlebten. Ironischerweise stilisiere Vladimir Putin den aktuellen Krieg als einen Kampf gegen den westlichen Kolonialismus, während Russland einen kolonialen Krieg gegen die Ukraine führe. Vor diesem Hintergrund plädierte Schulze Wessel für eine neue Imperienforschung.
Lankina mahnte zusätzlich an, in der aktuellen politischen Situation stärker die Perspektive ukrainischer Kriegsflüchtlinge zu berücksichtigen. Wissenschaftler*innen hätten hier auch eine moralische Verpflichtung. Was diese Forderung für die Unterstützung politisch gefähr-deter Wissenschaftler*innen aus Russland und Belarus bedeutet, blieb in der anschließenden Diskussion umstritten
Während sich das Eröffnungspanel an das gesamte Kongressplenum richtete, adressierten die folgenden parallelen Panels dezidiert die jeweiligen Fachdisziplinen. Diese Panels fanden parallel in drei Zeitslots statt und waren in die Disziplinen Geographie, Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaften, Politik- und Sozialwissenschaften, Recht, Religion und Wirtschaft unterteilt. Die einzelnen Sektionen waren jeweils unter einem konkreten Thema zusammengefasst.
So diskutierten die Wirtschaftswissenschaftler*innen primär über wirtschaftlichen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Umwelt. Bereits das erste Panel wies dabei eine große thematische und geographische Bandbreite auf und beschäftigte sich mit der Entwicklung des Energiesektors in der Ukraine (Miriam Frey Knoll, Berlin), Tschechien (Milan Ščasný, Prag) und Zentralasien (Yana Zabanova, Berlin/Groningen).
In der Sektion der Geschichtswissenschaft lag der Fokus auf der Rolle von Historiker*innen und Medien und der Frage, wie mit Propaganda und Falschmeldungen umzugehen sei. Unter anderem reflektierten Jan C. BEHRENDS (Potsdam), Franziska DAVIES (München), Olesya KHROMEYCHUK (London) und Moritz FlLORIN (Erlangen) darüber, wie sich die Position von Geschichtswissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit seit dem Februar 2022 verändert hat.
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Religion und Politik stand in der Sektion Religion im Vordergrund. Dabei spannte vor allem das Panel „Religion und Populismus“ einen weiten Bogen. Während Elżbieta KOROLCZUK (Warschau) sich mit der Verbindung von Rechtspopulismus und Religion in Polen befasste, ging Natallia VASILEVIC (Minsk /Bonn) auf den belarusischen Fall ein. Zoran GROZDANOV (Zagreb) schließlich berichtete darüber, wie Religion von populistischen Akteur*innen in Kroatien instrumentalisiert wird.
Auch die Panels der Sektion Geographie deckten ein breites Spektrum ab. So thematisierten Julia ZIMMERMANN (Berlin), Birgit GLORIUS (Chemnitz) und Oksana KOSHULKO (Hamburg) die Folgen der stalinschen Kampagnen zur ethnischen Säuberung und die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine für das europäische Asylsystem sowie den Freiheitskampf von Ukrainer*innen und Krim-Tatar*innen seit 2014.
Die Zivilgesellschaft im Exil war Thema eines runden Tischs der Sektion der Politik- und Sozialwissenschaften. Olga ROMANOVA (Berlin), Alexander MOROZOV (Prag), Aliaksei KAZHARSKI (Prag) und Katsiaryna LOZKA (Gent) diskutierten über Zivilgesellschaft im Exil. Der Fokus lag dabei auf Fallstudien zu Russland und Belarus.
Die Ukraine wiederum stand im Abschlusspanel der Rechtswissenschaftler*innen im Vorder-grund. Hans-Joachim SCHRAMM (Wismar), Roksolana KHANYK-POSPOLITAK (Kyjiw) und Rainer WEDDE (Wiesbaden) diskutierten nicht nur über die drängendsten Probleme, vor denen das ukrainische Rechtssystem aktuell steht, sondern auch die Vorgaben, die die Ukraine für einen EU-Beitritt auf rechtlicher Ebene erfüllen muss.
Neben Wissenschaftler*innen aus der Ukraine, deren Arbeit durch den Krieg massiv beein-trächtigt wird, sind auch jene russischen und belarusischen Wissenschaftler*innen betroffen, die sich offen gegen den Krieg positioniert haben und nun Repressionen ausgesetzt sind. Verschiedene Panels widmeten sich ihrer Situation und stellten Initiativen wie die „University of New Europe“ und das „SCIENCE AT RISK Emergency Office“ vor, die gefährdete Wissen-schaftler*innen unterstützen. Das Panel „Science under Pressure“ legte ebenfalls einen Fokus auf dieses Thema. Ein weiteres Panel befasste sich mit den aktuellen „Heraus-forderungen für den Buchmarkt in der Ukraine“. Evgenia LOPATA (Czernowitz), Kateryna MISHCHENKO (Berlin) und Olga PONYGAIKO (Kyjiw) diskutierten Wege, mit der Situation seit Februar 2022 umzugehen.
Nachwuchswissenschaftler*innen erhielten im Panel der Jungen DGO die Möglichkeit, ihre Forschungsvorhaben vorzustellen: Die Teilnehmer*innen hatten beim „Elevator Pitch“ jeweils fünf Minuten, um ihre Projekte zu präsentieren. Die thematische Ausrichtung reichte dabei von Arbeiten zu künstlerischem Aktivismus in der sozialistischen Tschechoslowakei bis zu den Beziehungen zwischen Staat und Bürgern in der post-Maidan Ukraine.
Das Abschlusspanel des Kongresses befasste sich mit den Problemen individueller und institutioneller Forschungskooperationen in Kriegszeiten. Thomas REMINGTON (Harvard), Gwendolyn SASSE (Berlin) und Annette WERBERGER (Frankfurt (Oder)) kamen dabei unter anderem auch auf die Präsenz der Ukraine innerhalb der Osteuropa-Wissenschaften und die Rolle von Wissenschaftler*innen im Exil zu sprechen.
Die Teilnehmer*innen kritisierten gleich zu Beginn, dass die Ukraine als Forschungs-gegenstand in den meisten Disziplinen noch deutlich unterrepräsentiert sei. Zwar betonte Remington, dass Russland allein aufgrund seiner Größe immer Aufmerksamkeit erfordern werde, er stimmte aber den anderen Teilnehmer*innen zu, die Ukraine stärker in den Fokus zu stellen. Es sei sehr wichtig, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Ukraine zu nor-malisieren, so Sasse. Das Studium der Ukraine und anderer osteuropäischer Länder sollte fester Bestandteil von Einführungsveranstaltungen sein, auch in den Mutterdisziplinen. Werberger stimmte zu und verwies darauf, dass noch viel zu oft von „Russian Studies“ die Rede sei. Zudem sei es wichtig, verstärkt auch die ukrainische, polnische oder belarusische Perspektive auf Russland einzunehmen und nicht wie bisher einzig die „westliche“.
Im Hinblick auf die Zukunft internationaler Forschungskooperationen verwies Werberger auf die Notwendigkeit, den Fokus weg von Russland auf andere Länder wie die Ukraine oder die baltischen Staaten zu legen. Kasachstan habe ebenfalls das Potenzial, zu einem neuen Kooperationspartner zu werden, bemerkte Remington. Auch Forschende, die aus Russland oder Belarus ins Exil nach Deutschland gekommen seien, kämen als „Scholars in Exile“ als Partner*innen infrage. Sasse plädierte darüber hinaus dafür, zwischen institutioneller und individueller Forschung zu unterscheiden. Für letztere sollten weiterhin Fördermöglichkeiten existieren. Gleichzeitig sei es wichtig, dass Forschende aus der Ukraine in Deutschland sichtbarer gemacht würden.
Werberger zog schließlich ein wenig positives Fazit: Der Krieg würde kaum neue Student*innen für die Region interessieren. Daher sei es unerlässlich, die Region noch stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen.
Zum Ausklang des Kongresse präsentierte das Kino Arsenal den ukrainischen Film „Home-ward“, der die Situation der Krimtataren nach der russischen Annexion der Halbinsel beleuchtet. Im anschließenden Gespräch diskutierte Daria BUTEIKO (Berlin) mit der offiziellen Repräsentatin der Krimtataren auf der Krim, Tamila Tasheva, und der Programm-direktorin des ukrainischen Filmfestivals Docudays, Victoria LESHCHENKO über die Lebensrealität der Krimtataren und die filmische Aneignung des Themas.
Zum Abschluss wiesen die Kooperationspartner des Kongresses Gabriele FREITAG (DGO) und Alexander Libman (FU Berlin) darauf hin, dass ceecon im Zweijahresrhythmus verstetigt werden soll. Der nächste Kongress ist für den Herbst 2024 in Berlin geplant
Veranstaltungsbericht / ceecon 2022 (PDF, 361 kB)
Datum:
06.10. bis 07.10.2022
Ort:
Freie Universität Berlin
Berlin
Sprache(n):
Englisch
Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde