Der Krieg in der Ukraine

Über einen Alltag zwischen Kämpfen und Dialogversuchen

In der Ukraine ist Krieg. Russische Truppen sind auf ganzer Linie auf dem Vormarsch. De facto bestimmt der bewaffnete Konflikt den Osten der Ukraine aber bereits seit 2014 – auch wenn in den hiesigen Medien die anhaltende Gewalt lange Zeit kein Thema mehr war.

Seit 2015 treffen sich Frauen aus der Ukraine, aus Russland und aus anderen europäischen Staaten über alle Konfliktlinien hinweg und setzen sich gemeinsam für den Frieden ein. Ihr Fokus lag und liegt auf den Auswirkungen des Kriegs, auf Ängsten, Hoffnungen und Handlungsmöglichkeiten von Menschen in verschiedenen Teilen der Ukraine und in Russland.

Wir laden dazu ein, dreien dieser Frauen zuzuhören: Wie haben Menschen in der Ukraine diesseits und jenseits der Kontaktlinie und in Russland den Krieg bisher wahr-genommen? Was ändert sich nun? Was tun sie selbst, um mit der Situation in ihrer Region umzugehen?

BEGRÜSSUNG

Dr. Heike DÖRRENBÄCHER
Berlin, Leiterin der Abteilung Gedenkkultur und Bildung, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

IN LIMBO. UKRAINE 2013–2021
Fotopräsentation mit einer Einführung von Florian BACHMEIER, München, Dokumentarfotograf

PODIUM

MODERATION
Dr. Gabriele FREITAG (Berlin)
Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.

Bitte melden sie sich hier an.

Die Posiumsdiskussion findet im Rahmen der Ausstellung:
FLORIAN BACHMEIER – IN LIMBO – UKRAINE 2013–2021

Titelbild: © Florian Bachmeier IN LIMBO Lwiw, Ukraine, 2021


Veranstaltungsbericht

Bericht: Lance Bradley

Seit dem 24. Februar herrscht in der Ukraine Krieg. Russische Truppen sind auf ganzer Linie auf dem Vormarsch. De facto bestimmt der bewaffnete Konflikt den Osten der Ukraine aber bereits seit 2014 – auch wenn in den hiesigen Medien die anhaltende Gewalt lange Zeit kein Thema mehr war. Seit 2015 treffen sich Frauen aus der Ukraine, aus Russland und aus anderen europäischen Staaten über alle Konfliktlinien hinweg und setzen sich gemeinsam für den Frieden ein. Vier dieser Frauen aus Kyiiw, Odesa, Donetsk und Südrussland berichteten am 2. März 2022 darüber, wie die Menschen in der Ukraine diesseits und jenseits der Kontaktlinie und in Russland den Krieg bisher wahrgenommen haben, was die neue Eskalation bedeutet und was sie selbst tun, um mit der Situation in ihrer Region umzugehen.

Was diese Frauen aus den unterschiedlichen Teilen der Ukraine und aus Russland zusammenbringt, ist die die Plattform „Fraueninitiativen für Frieden im Donbas“, koordiniert von der Organisation OWEN – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e.V. Seit 2016 ermöglicht die Initiative Frauen auf beiden Seiten der russisch-ukrainischen Grenze einen regelmäßigen Austausch. Alle Frauen sind gesellschaftspolitisch aktiv und tragen den Dialog in ihre lokalen Gemeinschaften. Der grenzüberschreitende Austausch über die Gegebenheiten vor Ort hat es ermöglicht, alltägliche Probleme gemeinsam zu lösen und dabei Empathie für die andere Seite zu entwickeln – trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten.

Der Alltag und das Leben im Donbas sind von dem Krieg vor acht Jahren und dem darauffolgenden immer wieder brüchigen Waffenstillstand geprägt. Neben der direkten Gewalt fand der Krieg im Donbas auch immer schon in den Medien seinen Niederschlag. Der direkte Austausch zwischen den Frauen ermöglichte vor diesem Hintergrund auch, Informationen aus erster Hand zu erhalten und Desinformationskampagnen entgegen zu wirken.

 

Vieles hat sich seit dem 24. Februar 2022 geändert. Manche Frauen aus der Gruppe sind aktuell auf der Flucht, alle machen sich Sorgen um ihre Familien. Eine Gesprächsteilnehmerin aus Kyiiw berichtete, wie schwierig es ist umkämpfte Städte zu verlassen oder sich ordentlich zu versorgen. Bleiben ist gefährlich, Fliehen aber auch. Auch für die russischen Aktivistinnen hat sich die Situation zugespitzt: Die Verfolgung der kritischen Zivilgesellschaft war bereits in den letzten acht Jahren ein großes Thema. Doch nun erreicht die politische Verfolgung ihren Höhepunkt: der Protest gegen den Krieg ist mit großen persönlichen Risiken verbunden.

Über die Stimmung in der Ukraine erzählt eine Panelistin: „Was auch immer Putin hier will, er wird es nicht finden – vor der Revolution, der Krim-Annexion und der Gewalt im Osten gab es breite Teile der ukrainischen Bevölkerung, die pro-Russland, gar pro-Putin eingestellt waren; heutzutage ist diese Gruppe nahezu verschwunden.“ In Russland hat der russische Angriff eine breite Gefühlspalette von Ärger, Scham und Empathie hervorgerufen sowie eine neue Welle des gesellschaftlichen Aktivismus ausgelöst. Doch die innenpolitischen Repressionen erdrosseln zahlreiche Aktivitäten.

Der direkte Angriff russischer Truppen auf die Ukraine beeinflusst auch den Austausch der Frauen untereinander nun unmittelbar – viele haben das Gefühl, wieder von vorne anfangen zu müssen. Außerdem sind die Möglichkeiten für den Dialog nun erheblich erschwert. Trotz allem scheinen die Frauen daran festzuhalten, denn, so wie es eine formulierte, “besprechen ist besser als aufeinander zu schießen”. Der Informationsaustausch hilft nicht nur dabei die psychische Belastung des Krieges zu mindern, sondern er hat auch greifbare positive Effekte. So berichtet eine Gesprächsteilnehmerin, dass gerade ein Krankenhaus auf der anderen Seite der Kontaktlinie mit lebensnotwendigen Medikamenten beliefert wurde, auch dank des Engagements und der Vernetzung der Frauen. Dabei war nicht wichtig, wo sich das Krankenhaus befindet oder woher die Patient*innen kommen, sondern, dass Hilfe benötigt wird. So konnten die am Projekt Beteiligten bereits Engpässe überwinden und bedarfsgerecht helfen.

Die Teilnehmerinnen wissen, dass sie in vielen Fragen uneinig sind. Sie sehen die Fakten, aber sie interpretieren Hintergründe und Folgen unterschiedlich. Der Dialog basiert auf jahrelang aufgebautem Vertrauen. Das vorsichtige und aufmerksame Zuhören und die Bereitschaft andere Sichtweisen zuzulassen, zeichnet die Gruppe aus. Bei allen Zweifeln scheinen die Frauen gewillt, weiterzumachen. Ihr Fazit für die Zukunft: Es braucht mehr Krisenprävention auf breiter gesellschaftlicher Basis anstatt Reaktion auf Gewaltausbrüche. Die Fraueninitiativen für Frieden im Donbas ist eine solche Präventivmaßnahme.

Die Veranstaltung erfolgte im Rahmen der digitalen Fotoausstellung „IN LIMBO. UKRAINE 2013-2021”. Die beeindruckenden Aufnahmen des Münchner Dokumentarfotografen Florian Bachmeier zeigen das kontrastreiche Leben der Menschen in der Ukraine seit der Revolution auf dem Maidan: Kämpfen oder Überleben, Gehen oder Bleiben, Normalität versus Kriegszustand. Diesen Alltag im Krieg, dieses Weitermachen trotz des allgegenwärtigen Leids thematisiert Bachmeier mit seinen Bildern. Genau dieser Kontrast verbindet thematisch die Fotoausstellung mit der Podiumsdiskussion.

Die virtuelle Ausstellung kann bis Ende Mai hier kostenfrei besichtigt werden: BUCHKUNST BERLIN – VERLAG | GALERIE | AGENTUR (buchkunst-berlin.de)

Datum:
02.03.2022, 19:00 Uhr bis 20:30 Uhr

Hinweis:
Die Veranstaltung findet online statt.

Sprache(n):
Deutsch - Russisch sowie Ukrainisch, simultan gedolmetscht

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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