The Czech EU Presidency and the new European order

Russia's invasion of Ukraine has shattered all certainties of European politics. How profound will the so-called “historic turning point” be? What are the consequences of the fact that security policy and energy policy in Europe can no longer be made together with Russia, but against it? What significance does this have for the relationship between the European Union and NATO, for relations between the East-Central European states and Germany, for German-Czech relations – bilaterally and in the EU?

Panel 1: Security Policy in Times of War

Jan Jireš (Deputy Minister of Defence CZ)
Jakub Eberle (Institute of International Relations Prague)
Kai-Olaf Lang (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin)

Moderation: Zuzana Lizcová (Faculty of Social Sciences, Charles University, Prague)

Panel 2: Energy policy in the field of tension between ecology and security

Tomáš Ehler (Deputy Minister of Industry and Trade CZ)
Andreas Rau (Net4Gas, Prague)
Christoph Podewils, (Author “Germany and Electricity”, DEU)

Moderation: Volker Weichsel (German Society for Eastern European Studies, DEU)

The discussion on future energy policy in Europe will focus on the question of national preferences, European coordination and bilateral German-Czech cooperation in the selection of the energy mix in the various sectors of the national economy. In addition to questions on the orientation and financing of the medium and long-term transformation of the energy sectors, questions that arise in the short term in times of acute energy shortages and massively risen energy prices at national as well as European level will be addressed.


Veranstaltungsbericht

You can watch the recording of the discussion on YouTube:

 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zentrale Gewissheiten der europäischen Politik erschüttert. Wie tiefgreifend wird die sogenannte „historische Wende“ sein? Welche Folgen hat die Tatsache, dass Sicherheits- und Energiepolitik in Europa nicht mehr mit, sondern nur gegen Russland gemacht werden kann? Welche Bedeutung hat dies für das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der NATO, für die Beziehungen zwischen den ostmitteleuropäischen Staaten und Deutschland, für die deutsch-tschechischen Beziehungen – bilateral und in der EU? Diese Fragen diskutierten Expert*innen aus den Bereichen Sicherheits- und Energiepolitik in der Deutschen Botschaft in Prag.

PANEL 1: SICHERHEITSPOLITIK IN ZEITEN DES KRIEGES

Mit Fragen der Sicherheitspolitik befassten sich Jan JIREŠ (Stellvertretender Verteidigungs-minister der Tschechischen Republik) Jakub EBERLE (Institute of International Relations Prague) und Kai-Olaf LANG (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin). Sie sprachen über die verschiedenen Paradigmen der Sicherheitspolitik, die in der EU vorherrschen.

Jireš (Stellvertretender Verteidigungsminister der Tschechischen Republik) verwies dabei zunächst auf die unmittelbaren Folgen des Kriegs für die europäische Sicherheitspolitik. Moderne Kriegsführung, so mache der Krieg deutlich, sei materiell höchst anspruchsvoll. Jireš plädierte daher für eine Erweiterung der Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung innerhalb der EU.

Zum Verhältnis zwischen EU und NATO verwies Jireš darauf, dass es die Rolle der EU für die NATO sei, die kollektive Verteidigung in Europa zu ermöglichen. Die Vereinigten Staaten seien dabei trotz ihrer ambivalenten Stellung unverzichtbar für die Sicherheitspolitik in der EU. Es sei dennoch an der Zeit, transatlantische Übereinkünfte auszuhandeln, die eine souveräne europäische Sicherheitspolitik ermöglichen. Der Krieg decke zudem ein Ungleich-gewicht der Macht innerhalb Europas auf: einzelne Mitglieder kämpften um ein höheres Maß an Anerkennung innerhalb der Union während kein Land eine echte Führungsrolle über-nehme. Deutschland könne diese erst für sich beanspruchen, wenn auf politische Aussagen auch konkrete Handlungen folgen würden. Gleichzeitig wachse die Rolle der ostmittel-europäischen Mitgliedsstaaten in Sicherheitsfragen. Diese hätten mit der Aufnahme von und dem Umgang mit ukrainischen Geflüchteten einen „Goldstandard“ gesetzt, der ihr Selbst-bewusstsein innerhalb der Union gestärkt habe.

Die deutsche Perspektive auf die neuen Sicherheitsfragen in der EU brachte Lang in die Diskussion ein. Aus dem bisherigen Umgang der Bundesrepublik mit dem Krieg zog er den Schluss, dass es wichtig sei, verschiedene Sicherheitskonzepte innerhalb der EU einzubeziehen, wenn eine Rückkehr zum Paradigma der Absicherung stattfinde. Dabei sei Konsens eine wichtige Ressource. Diesen zu finden, stelle sich jedoch als schwierig heraus, so Lang. Die Herangehensweisen an Sicherheitsfragen innerhalb der EU seien sehr unterschiedlich und ein strategischer Wandel nur schwer herbeizuführen.

Lang verwies darauf, dass diese Entwicklung für Deutschland als Zivilmacht und Handelsstaat die Herausforderung mit sich bringe, eine dauerhafte Akzeptanz für eine Zeitenwende in Bezug auf Sicherheitsfragen in der deutschen Gesellschaft zu schaffen. Eine schrittweise Veränderung der deutschen Ost-Politik wiederum könne durch den Dialog mit den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas vorangetrieben werden. Die Tschechische Republik sah Lang dabei als pragmatische Stimme in europäischen Sicherheitsfragen an, die in einen kritischen aber deshalb auch konstruktiven Dialog mit Deutschland treten könne.

Auf die tschechisch-deutschen Sicherheitsbeziehungen bezog sich schließlich Eberle. Beide Länder seien in gewisser Weise vergleichbar, da sie keine europäischen Extreme wie beispielsweise das zunehmend autoritär regierte Ungarn darstellten. Allerdings kritisierte Eberle die tschechische Debatte über Deutschlands Vorgehen im Umgang mit sicherheitspolitischen Herausforderungen ebenso wie die Selbstmarginalisierung anderer Staaten. Es fehle an der Betonung des Zusammenhaltens. Man würde sich lieber belehren als einen Dialog zu führen. Die Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland bewertete Eberle durchaus positiv. Man müsse sich aber den Mehrwert der Zusammenarbeit deutlicher bewusst machen, zum Beispiel auf der Ebene von Sicherheit und Verteidigung.

In der nachfolgenden Diskussion rückte die Wahrnehmung des Kriegs in den Vordergrund. Dabei ging es um die Frage, wie sich die explizite Haltung Tschechiens mit der eher zögerlichen Deutschlands vereinbaren ließe und welche (gemeinsamen) Schritte daraus in Zukunft folgen können.

Jireš vertrat den Standpunkt, dass Stabilität und Sicherheit und damit schließlich auch ein Sieg der Ukraine sich unmittelbar auf das Sicherheitsempfinden der Staaten im Ostmittel- und Osteuropa auswirken würden. Dies stimme auf politischer aber auch zivilgesellschaftlicher Ebene mit der deutschen Wahrnehmung überein, so Kai-Olaf Lang. Jedoch solle man sich gewahr sein, dass ein Sieg der Ukraine in Form der erfolgreichen Überwältigung der russischen Armee zu einer irrationalen Antwort Russlands führen könnte. Das Potential einer (militärischen) Übersprungshandlung Russlands führe dazu, dass Deutschland in Bezug auf Waffenlieferungen, Sicherheitsfragen und andere Verhandlungen entsprechend vorsichtig agiert.

Mit Blick auf die Zukunft kamen die Redner überein, dass es wichtig für die Sicherheit und Zusammenarbeit der EU sei, ein gemeinsames Skript für die Zeit nach dem Krieg zu haben, welches nicht nur eine stabile Ukraine vorsieht sondern auch mit einem ungewissen / neuen Russland umzugehen vermag.

PANEL 2: ENERGIEPOLITIK IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN ÖKOLOGIE UND SICHERHEIT

Im zweiten Panel des Abends standen die Themen Energiepolitik und Energiesicherheit im Mittelpunkt. Zunächst gaben die Teilnehmer einen kurzen Einblick in die aktuelle Lage auf dem tschechischen und europäischen Energiemarkt aus ihrer jeweiligen Perspektive. Tomáš EHLER (Stellvertretender Minister für Industrie und Handel der Tschechischen Republik) fokussierte dabei primär auf die Atomenergie, während Andreas RAU (Net4Gas Prag) und der Autor Christoph PODEWILS auf die Gasversorgung beziehungsweise die erneuerbaren Energien eingingen. Ehler verwies gleich zu Beginn auf die Bedeutung der Atomkraft für die Garantie einer Versorgungssicherheit mit Energie.

Rau wiederum wies auf den Stand der Gasversorgung in Europa hin, der besser sei als erwartet. Die Speicher seien zu 95 Prozent gefüllt, was 18 Prozent mehr seien als von der EU-Kommission zu diesem Zeitpunkt als Ziel ausgerufen worden war. Allerdings, so Rau, dürfe man hier nicht gängigen Fehleinschätzungen aufsitzen: Das Gas aus den Speichern sei nur eine Ergänzung zu weiteren Importen und könne keinesfalls den kompletten Bedarf des Winters decken. Auch die Menge an Gas, die aus diesen Speichern abgeschöpft wird, verringere sich im Zeitverlauf. Dennoch sei man für den kommenden Winter gut gerüstet, konstatierte Rau. Kritisch werde es erst 2023/24, wenn noch weniger Gas aus Russland komme.

Die aktuell von Deutschland ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung des Gaspreises und zur Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Gas seien nicht kompatibel mit den langfristigen Zielen der Energiewende, gab Podewils zu bedenken. Mit Katar über die Versorgung mit Flüssiggas zu sprechen und in Gasinfrastruktur in Afrika zu investieren, würde nicht dazu beitragen, bis 2030 rund 80 Prozent der Energieversorgung aus den Erneuerbaren zu gewinnen. Andererseits stünde man aktuell auch schon bei 50 Prozent, die primär aus Windenergie stammen. Auch die Tatsache, dass Deutschland einen großen Teil der erzeugten Energie exportiere, dürfe man in diesem Zusammenhang nicht außer Acht lassen.

Im Hinblick auf mögliche Strategien der tschechischen Regierung im Zusammenhang mit der Energiesicherheit. seien laut Ehler kurzfristig zwei Aspekte relevant: Weitere Verträge zur Versorgung mit Flüssiggas sowie eine Reduzierung des Energiekonsums. Es sei wichtig, die Lieferkapazitäten aus Häfen in Belgien, den Niederlanden und Polen zu erhöhen, da Tschechien selbst über keinen Zugang zum Meer verfüge, so der stellvertretende Minister. Podewils verwies auf die deutschen Strategien, mit denen Versorgungssicherheit mit Strom garantiert werden soll. Günstige Gasturbinenkraftwerke sollten eigentlich die Phasen ausgleichen, in denen Windkraft- und Solaranlagen nicht ausreichend Energie produzieren. Durch den russischen Angriffskrieg falle diese Variante nun weg. Podewils mahnte vor zu schnellen Schlüssen: Man müsse sich immer vor Augen führen, dass ein nicht unerheblicher Teil der durch Gas erzeugten Energie in Deutschland ohnehin exportiert werde.

Auf die Frage, wie deutsch-tschechische Kooperationen im Energiesektor zukünftig aussehen könnten, verwies Ehler erneut auf die Bedeutung der Atomkraft in Tschechien. Beide Länder würden zu Energieimporteuren werden, wobei noch unklar sei, woher die importierte Energie komme. Tschechien wolle den Ausbau von Atomkraft fördern, was aber durch EU-Rahmenbedingungen für Investitionen erschwert werde. Es gebe einen signifikanten Unterschied im Vergleich zu den Erneuerbaren. Er würde sich mehr Pragmatismus und weniger Ideologie wünschen, so Ehler.

Deutlich skeptischer zeigte sich Podewils im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit von Atomkraft. Weltweit würden sich alle Projekte, die mit Atomkraft zu tun haben, verzögern. Zudem würde kaum noch ein Unternehmen in Atomkraft investieren, sodass Projekte nur durch staatliche Unterstützung realisiert werden könnten. Aber auch im Bereich der Erneuerbaren sah Podewils noch viel Nachholbedarf. So gebe es kaum Subventionen für Wind- und Solarparks, Unternehmen müssten sogar noch draufzahlen, um Bau- und Betriebsgenehmigungen zu bekommen.

Was die Zukunft von Gas als Brückentechnologie angehe, sei er trotz des Krieges deutlich optimistischer als seine Kollegen, so Rau. Gas könne mindestens weitere zehn Jahre als eine solche Technologie fungieren. Es sei aber von großer Bedeutung, sich zukünftig nicht mehr so stark von einer Quelle abhängig zu machen.

Botschafter Hans-Peter HINRICHSEN verwies abschließend auf die vielen Gemeinsamkeiten, die sich in der Diskussion gezeigt hätten. Es sei seine Hoffnung, so Hinrichsen, dass man in Zukunft nicht mehr auf nationale Lösungen setzen, sondern gemeinsam Lösungen entwickeln werde.

Veranstaltungsbericht / The Czech EU Presidency and the new European order (PDF, 341 kB)

Datum:
07.11.2022, 19:00 Uhr

Ort:
German Embassy
Palais Lobkowicz
Vlašská 19
118 00 Prague

Sprache(n):
English

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde