Krieg und Friedensethik

Begriffe, Positionen, Kontroversen

Können Waffen Frieden schaffen? Um diese und andere Fragen kreist die deutsche „Friedensdebatte“, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erneut entfacht ist. Dabei stehen sich auf den ersten Blick die unvereinbaren Positionen „Waffenlieferungen“ und „Friedensverhandlungen“ diametral gegenüber. Doch die Debatte ist deutlich vielschichtiger.

Die Diskussion „Krieg und Friedensethik“ wirft einen genaueren Blick auf die deutsche „Friedensdebatte“, ihre Akteur*innen und Begrifflichkeiten. Im Mittelpunkt stehen vor allem theologische und philosophische Positionen. Gibt es den „gerechten Krieg“? Wie kann ein „gerechter Frieden“ erreicht werden? Ist Pazifismus als Reaktion auf Gewalt realistisch? Und wo liegt der Unterschied zwischen einem pragmatischen und einem gesinnungsethischen Pazifismus?

Begrüßung:

Katrin Oxen, Pfarrerin, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Berlin
Wolfgang Wieland, Vize-Präsident Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Berlin

Podium:

Jörg Lüer, Justitia et Pax, Berlin
Olaf Müller, Humboldt-Universität, Berlin
Dirck Ackermann, Evangelische Militärseelsorge der Bundeswehr, Berlin

Moderation: Manfred Sapper, Zeitschrift Osteuropa/DGO

Die Veranstaltung findet statt im Rahmen der Ausstellung „Die Gesichter des Krieges“. Die Ausstellung zeigt Bilder des ukrainischen Fotografen Mstyslav Chernov aus dem zerstörten Mariupol. Die Bilder sind noch bis zum 5. April täglich zwischen 10 und 18 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zu sehen: https://dgo-online.org/blog/die-gesichter-des-krieges-ausstellung-mit-bildern-des-ukrainischen-fotografen-mstylslav-chernov/


Veranstaltungsbericht

Können Waffen Frieden schaffen? Um diese und andere Fragen kreist die deutsche „Friedensdebatte“, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erneut entfacht ist. Dabei stehen sich auf den ersten Blick die unvereinbaren Positionen „Waffenlieferungen“ und „Friedensverhandlungen“ diametral gegenüber. Doch die Debatte ist deutlich vielschichtiger.

Um sich dieser Vielschichtigkeit zu nähern, veranstaltete die DGO im Rahmen der Ausstellung „Die Gesichter des Krieges“ in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche die Diskussion „Krieg und Friedensethik“. Dabei ging es um einen genaueren Blick auf die deutsche „Friedensdebatte“, ihre Akteur*innen und Begrifflichkeiten. Im Mittelpunkt standen vor allem theologische und philosophische Positionen. Gibt es den „gerechten Krieg“? Wie kann ein „gerechter Frieden“ erreicht werden? Ist Pazifismus als Reaktion auf Gewalt realistisch? Und wo liegt der Unterschied zwischen einem pragmatischen und einem gesinnungsethischen Pazifismus?

Am Beginn der von Manfred SAPPER (DGO/Zeitschrift Osteuropa, Berlin) moderierten Diskussion stand Grundsätzliches: Dirck ACKERMANN (Militärdekan der Bundeswehr) bemühte sich zunächst, die von Konsenssuche geprägten Positionen der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in den institutionellen Kontext ihrer Entstehung zu stellen. Die EKD habe zu keiner Zeit Radikalpazifismus vertreten und tue dies auch jetzt nicht.

Gegen radikalen, gesinnungsethischen Pazifismus sprach sich auch Olaf MÜLLER (Philosoph, Humboldt-Universität Berlin) in seinem Eingangsstatement aus. Von zentraler Bedeutung sei es allerdings, anzuerkennen, dass eine Positionsbeziehung im Krieg Russlands gegen die Ukraine immer auch bedeute, sich schuldig zu machen. Irritierend sei, dass dies von vielen, insbesondere jenen, die für Waffenlieferungen plädierten, verneint würde. Konkret auf die Frage der Waffenlieferungen bezogen appellierte Müller dafür, das Risiko einer atomaren Eskalation zu berücksichtigen. Es gelte, zwischen einer für die Ukraine schlimmen Kapitulation und einer für die Welt katastrophalen nuklearen Eskalation abzuwägen.

Bezogen auf die Schuldfrage stimmte Jörg LÜER (Geschäftsführer Justitia et Pax, Berlin) in seiner Replik der Einschätzung Müllers zu. Doch Deeskalation oder gar Frieden sei in der gegenwärtigen Lage schwer vorstellbar. Hauptgrund hierfür sei zunächst der imperial-autoritäre Charakter Russlands, der der demokratisch-republikanischen ukrainischen Idee entgegenstünde. Der russische Krieg gegen die Ukraine sei kein Missverständnis, sondern eine in Putins Selbstverständnis rationale, von langer Hand geplante und angekündigte Entscheidung. Daher sei die Furcht vor einer impulsgesteuerten nuklearen Eskalation kaum begründet, unbedingte Deeskalation berge vielmehr das Risiko eines Präzedenzfalles, der weiteren Kriegen den Weg bereiten könne.

Es fehlt an sicherheitspolitischer Expertise       

Auf die deutsche und insbesondere innerchristliche Debatte bezogen diagnostizierte Lüer, durchaus in Übereinstimmung mit Ackermann, ein Problem mit der Friedenspraxis, nicht der Friedensethik. Bis zum Kriegsausbruch habe die Friedensbewegung klare Linien gezeichnet – mit den unreinen Gewerken des Militärs auf der einen und dem Wahren und Schönen des Pazifismus auf der anderen Seite. Der Welt habe man sich indes nicht mehr gestellt.

Ackermann kritisierte den grundsätzlichen Mangel an sicherheitspolitischer Expertise im Umfeld der Friedensethik. Eine begründete Antwort auf die Frage danach, welche Unterstützungspflichten bestünden, sei daher gegenwärtig kaum zu finden. Das Recht auf Selbstbestimmung könne wohl als allgemein unbestritten gelten, ebenso eine grundsätzliche Pflicht des Staates, Gewalt zu verhindern und Recht durchzusetzen. Doch die Pflicht zur Nothilfe sei aus völkerrechtlicher wie friedensethischer Perspektive umstritten. Wie auch Lüer bewertete Ackermann das Risiko einer nuklearen Bedrohung als gering. Und auch wenn Atomwaffen aus prinzipienethischer Sicht klar zu verurteilen seien, zeige der Krieg Russlands auch ihr Potential auf: für die Ukraine, die ohne ihren Verzicht 1994 wohl kaum angegriffen worden wäre ebenso, wie für das Verhältnis von Russland und den USA, das derzeit auch dank des atomaren Gleichgewichts relativ stabil sei.

Müller unterstrich die in seinen Augen bestehende Nutzlosigkeit militärischer Intervention von außen. Gewalt wie auch genozidalen Akten sei militärisch kaum beizukommen, Beispiel hierfür sei unter anderem der gescheiterte Militäreinsatz der NATO in den Jugoslawienkriegen, der die Massaker der serbischen Truppen nicht habe verhindern können – sondern sie vielmehr erst provoziert habe. Diese Interpretation des Völkermordes von Srebrenica traf auf Widerspruch, insbesondere auch im Plenum. Ackermann unterstrich den zwischenstaatlichen Charakter des Krieges: die militärische Intervention von außen unterliege daher anderen Bewertungsmaßstäben und stünde derzeit ohnehin nicht zur Debatte. Gegenwärtig gehe es um die materielle Unterstützung der legitimen Verteidigungsbemühungen der Ukraine. Lüer betonte schließlich, dass das Thema nicht die Verteidigung des Pazifismus, sondern die der Bevölkerung sein müsse. Friedensarbeit und Eindämmung von Gewalt verlange nach einem langen Atem und umfasse weit mehr, als allein militärisches Handeln.

FRIEDLICHER WIDERSTAND           

Zur Untermauerung der Bedeutung und des Potentials friedlichen Widerstands berichtete Müller von Ereignissen in der Stadt Slawutytsch, in der die Einwohner gewaltlos protestiert und schließlich die Freilassung des gefangen genommenen Bürgermeisters und Verhandlungen mit den Besatzern erreicht hätten. Selbstverständlich sei unklar, ob derartiges in der Fläche funktionieren könne. Zu berücksichtigen sei die Brutalisierungsspirale, in die die russische Armee mit dem Kriegsbeginn geraten sei: wer allein an das Böse im Menschen glaube, sei vor allem Pessimist.

Einer derartigen Vereinfachung wollte sich auch Lüer nicht anschließen, betonte aber, dass die christliche Anthropologie weder einzig böse noch einzig gute Menschen kenne, sondern den Menschen in seiner ganzen Widersprüchlichkeit abbilde. Der Glaube an das Gute und Wahre im Menschen sei oftmals eine Illusion, der man sich nicht hingeben dürfe. Einzelbeispiele dürften weiterhin auch nicht dazu dienen, jene Realität auszublenden, die unter anderem die brutalen Söldner der Gruppe Wagner repräsentiere.

Ackermann betonte in seiner Replik schließlich den spekulativen Charakter derartiger Überlegungen und appellierte, die Entscheidung der Ukraine für die Verteidigung zu akzeptieren. Für Christen gäbe es jedoch auch in dieser Situation konkrete Handlungsmöglichkeiten: Hilfe für traumatisierte Kriegsopfer, Hilfe vor Ort in der Ukraine und Friedensgebete. Und zuletzt gelte es auch, die Versöhnung mit Russland nicht aus dem Blick zu verlieren.

VERSÖHNUNG SCHAFFEN

Über die Notwendigkeit von Versöhnung bestand unter den Diskutanten Einigkeit. Lüer betonte jedoch die Langfristigkeit dieses Ziels. Zuallererst gelte es, Gesprächskanäle zu erhalten und zu eröffnen, in denen Versöhnung gerade nicht Thema sei. Eigene Erfahrungen beim Versuch, nach 2014 Gesprächsforen in der Ostukraine zu schaffen zeigten, dass sich nur so die wechselseitige Angst vor übersteigerten Erwartungen und Verurteilung überwinden lasse.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche sei gegenwärtig hierfür kein Partner: sie versündige sich am Namen Gottes. Institutionelle Kontakte gehörten der Vergangenheit an. Aber auch weiterhin gäbe es inoffizielle Kontakte zu Klerikern, die den Krieg verurteilen, und es gelte, diese auch mit Blick auf die Nachkriegszeit zu schützen. Ackermann verwies weiterhin auf die grundsätzlichen Differenzen zwischen der Russisch-Orthodoxen und den westlichen Kirchen, die einen Dialog schon vor Kriegsbeginn erschwert hätten. An anderer Stelle, im Verhältnis anderer orthodoxer Länderkirchen zueinander etwa, habe der Krieg jedoch Zusammenarbeit und Austausch befördert.

Die Diskussion zeigte die vielfältigen Positionen, die Bezugnahmen auf Ethik und Religion im Kontext des Krieges hervorbringen können. Deutlich wurde, dass auch in einer seriösen, abwägenden Auseinandersetzung zu Sinn und Unsinn, Chancen und Risiken von Waffenlieferungen unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe zu oft diametralen Gegensätzen führen können. Konsens bestand bei den Panelisten in der einhelligen und unbeschränkten Verurteilung des russischen Angriffs.

Datum:
22.03.2023, 19:00 Uhr

Ort:
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Breitscheidplatz
10789 Berlin

Sprache(n):
Deutsch

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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