Propagandaschlacht um die Ukraine

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist der erste, der in Echtzeit in den sozialen Medien ausgetragen wird: Sogenannte War-Toker:innen berichten von der Front, Videos von Influencer:innen, die sich mit dem Krieg auseinandersetzen, gehen viral, und aus Trollfabriken werden Instagram-Posts abgesetzt, die den Überfall auf die Ukraine rechtfertigen sollen.

In der Propagandaschlacht um die Ukraine kommt den Spindoktoren besondere Bedeutung zu. Mittels Propagandisten wie Wladimir Solowjow – auch die „Schnauze Putins“ genannt – hat die russische Führung die eigene Bevölkerung medial auf den Krieg vorbereitet und versucht, sich deren Zustimmung zu sichern. Auf ukrainischer Seite sind es oftmals Influencer wie Oleksij Arestowytsch, die vor allem die sozialen Medien professionell nutzen, um Desinformation zu bekämpfen und das Durchhaltevermögen in der Bevölkerung zu beschwören.

Propagandaschlacht um die Ukraine zeigt die neuen Frontlinien der virtuellen Angriffsführung. Er dekonstruiert ikonische Bilder und gewährt Einblicke in die Trickkiste der Kriegspropaganda.

Der Film wird erzählt von Katja Riemann.

Im Anschluss an das Screening diskutiert Gabriele Freitag (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) mit Saskia Geisler und Kristian Kähler (Buch und Regie) sowie

Claudia Roth (Staatsministerin für Kultur, angefragt)
Greg Yudin (Moscow School of Social and Economic Sciences)
Anton Yaremchuk (Kameramann)
Manfred Sapper (Zeitschrift Osteuropa)


Veranstaltungsbericht

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist der erste, der in Echtzeit in den sozialen Medien ausgetragen und dokumentiert wird: Sogenannte War-Toker*innen berichten von der Front, Videos von Influencer*innen, die sich mit dem Krieg auseinandersetzen, gehen viral, und aus Trollfabriken werden Instagram-Posts abgesetzt, die den Überfall auf die Ukraine rechtfertigen sollen. Die Arte-Dokumentation „Propagandaschlacht um die Ukraine“ zeigt diese neuen Frontlinien der virtuellen Kriegsführung.

Die DGO begleitete die Premiere des Films im Delphi-Filmpalast Berlin begleitet und organisierte im Anschluss an den Film eine Podiumsdiskussion zum Thema. Die Filmemacher*innen Saskia GEISLER und Kristian KÄHLER, die als Expert*innen im Film zu Wort kommenden Grigory YUDIN (Moscow School of Social and Economic Sciences) und Svitlana MATVIYENKO (Simon Fraser University, Toronto) sowie der Redakteur Manfred SAPPER von der Zeitschrift Osteuropa sprachen dabei unter anderem über die unterschiedliche Art und Weise der Propaganda in Russland und der Ukraine und den Wandel der Medienlandschaft. Nicht an der Diskussion teilnehmen konnte bedauerlicherweise der Fotograf und Kameramann Anton Yaremchuk, der ebenfalls am Film mitgewirkt hat. Das Team seiner NGO BASE UA, die Menschen aus umkämpften Gebieten evakuiert, war kurz vor der Veranstaltung beschossen worden. Yaremchuk konnte deshalb nicht nach Berlin kommen.

Der Film zeigt, wie unterschiedlich die Ukraine und Russland die elektronischen Medien für ihre Kriegsrhetorik einsetzen. Während der ukrainische Präsident Selenskyj schwerpunktmäßig die sozialen Medien nutzt, setzt Russland für seine Mobilisierung nach innen aufs Fernsehen und nutzt vornehmlich für die Kriegspropaganda nach außen das Internet.

Zum Einstieg in die Diskussion gab Geisler Einblicke in die Entstehung des Films. Der erste Impuls sei gewesen, eine Art Kriegstagebuch zu schaffen, das das Leben der Menschen vor Ort widerspiegelt. Aus dieser Idee heraus habe sich dann ein Film entwickelt, der die Funktionsweise von Medien thematisiert. Kähler ergänzte, dass man bei dieser Produktion erwartungsgemäß weniger habe selbst drehen können als üblich. Der Film basiert vornehmlich aus Zusammenschnitten aus dem Netz. Auf diese Weise wurde ein eigenes kleines Archiv angelegt.

Die visuelle Ästhetik, aber auch der Konsum verschiedener Medien sind in beiden Ländern durchaus unterschiedlich, merkte Moderation Gabriele Freitag (DGO) an. In der Ukraine seien vor allem die sozialen Medien von Bedeutung, über die viele unterschiedliche Personen zu Wort kämen. Matviyenko verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass darin der Wunsch der Menschen zum Ausdruck käme, die Geschehnisse in ihrer Umgebung zu dokumentieren. Das ganze Land sei zu einem Kollektiv von Zeug*innen geworden. Dadurch sei – anders als in Russland – ein sehr komplexes Bild des Krieges entstanden. Zudem nutze auch Präsident Selenskyj die sozialen Medien intensiv, um mit der Bevölkerung zu kommunizieren und mittels dieser Kommunikation eine Verbindung herzustellen.

In Russland wiederum, so Yudin, stehe das Fernsehen im Mittelpunkt, soziale Medien wie TikTok und andere Netzwerke würden blockiert. Und auch wenn es keine vollständige Kontrolle der sozialen Medien durch den Staat geben könne, seien diese kein Ort, an dem sich großer Widerstand rege. Die Menschen in Russland seien vielfach depolitisiert und blendeten die politischen Ereignisse aus. Die Medien unterstützten sie darin und verbreiteten die Botschaft „alles ist gut, macht einfach weiter so“. Dies sei ein Strukturprinzip der russischen Medien, ebenso wie es die Personalisierung der Kommunikation in der Ukraine sei, merkte Sapper dazu an. Der Aussage Yudins, in Russland wüssten ohnehin alle, dass alle lügen, widersprach Sapper. Für die Generation der bis 30jährigen sei dies wohl zutreffend, aber in der Gruppe der 40 bis 60jährigen würden viele den propagandistischen Botschaften von Moderator*innen wie Wladimir Solowjow glauben.

Angesprochen auf die Wirkung der jeweiligen medialen Botschaften auf den Kriegsgegner betonte Matviyenko, dass die russische Propaganda für die Menschen in der Ukraine eine zusätzliche Belastung darstelle. Sie seien nicht nur mit einem Alltag im Krieg konfrontiert, sondern auch mit der Leugnung des Kriegsgeschehens, das sie tagtäglich erleben. Darüber seien die Drohungen von russischer Seite angsteinflößend. In Russland wiederum, so Yudin, herrsche vielfach die bereits beschriebene Haltung vor, dass man ohnehin nichts ändern könne – auch wenn der eine oder die andere durchaus die Wahrheit über die Ereignisse in der Ukraine kenne.

Auch die Wirkung der Propaganda über Russland und die Ukraine hinaus dürfe man nicht unterschätzen, merkte Kähler an. Besonders bei traditionellen Verbündeten betreibe Russland massiv Propaganda. Beispielsweise sei der Sender RT (vormals „Russia Today“) in Südamerika sehr aktiv und habe die Fußball-WM dort kostenlos gezeigt. Ziel sei es, die Botschaft einer Welt frei von US-amerikanischer Hegemonie zu verbreiten, was in Südamerika vielfach auf fruchtbaren Boden falle. Die Ukraine habe den Propaganda-Krieg daher keineswegs bereits gewonnen.

Auf die Frage, was als Botschaft des Films auch über ein Ende des Krieges hinaus bleibe, antwortete Geisler, dass es wichtig sei, die Dinge, die im Film exemplarisch für andere Kontexte seien, hervorzuheben. Man habe gut sehen können, dass die Art und Weise von Kommunikation ein System durchaus spiegeln könne. Gleichzeitig ist unsere Wahrnehmung eines System stark davon abhängig, wie es kommuniziert.

Datum:
05.02.2023, 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr

Ort:
Delphi Filmpalast am Zoo
Kantstr. 12a
10623 Berlin

Sprache(n):
Deutsch

Eintritt:
Eintritt frei

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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