The Istanbul Convention in Central and Eastern Europe

Presentation of the Special Issue of Osteuropa Recht

International Women’s Day played an important role in socialist Eastern European countries. Today, women’s rights are heavily contested in many of these states.

The journal Osteuropa Recht 1/2022 discusses the implementation and the controversies around the “Istanbul Convention” (the “Council of Europe Convention on preventing and combating violence against women and domestic violence”, hereinafter “the Convention”) in Central and Eastern Europe. It is striking that resistance and protest to the Convention is particularly strong in Central and Eastern Europe.

In this journal presentation the authors of the special issue will shed light on these developments. They seek to better understand the criticism towards the Convention, the nature and dynamics of the condemnation in Central and Eastern Europe and to reconstruct the process of contestation. They discuss the legal arguments and instruments to reject the Convention in the different countries and compare the role of courts and other legal institutions within the contestation process.

While most articles of the special issue were prepared before the Russian invasion of Ukraine started, the discussion also touches the topic of women’s rights in times of war. It is interesting that Putin not only used anti-feminism and anti-genderism to consolidate his power over the years. He also justified the current war by accusing the West of destroying Russian traditional values by the enforcement of Western values and rights, obviously referring to the Council of Europe.

Panelists:
Monika Płatek, Warsaw
Marianna Murayeva, Helsinki
Radosveta Vassileva, London
Tímea Drinóczi/ Lídia Balogh, Belo Horizonte/ Budapest

Caroline von Gall, Frankfurt (chair)

See the online version of the special issue here: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0030-6444-2022-1/oer-osteuropa-recht-jahrgang-68-2022-heft-1


Veranstaltungsbericht

Im Mai 2011 verabschiedete der Europarat in Istanbul ein Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die so genannte Istanbul-Konvention wurde von vielen Mitgliedsstaaten des Europarats unterzeichnet, allerdings von einigen ostmittel- und osteuropäischen Staaten entweder nicht unterzeichnet oder noch nicht ratifiziert. Der Widerstand gegen die Konvention ist hier offensichtlich besonders groß. Die Ausgabe 1/2022 der Zeitschrift „Osteuropa-Recht“ befasst sich daher mit der Umsetzung und den Kontroversen im Kontext der „Istanbul-Konvention“ im östlichen Europa. In einer Online-Diskussion erörterten einige Autorinnen des Hefts unter Moderation von Caroline VON GALL die Frage der Frauenrechte in Ostmittel- und Osteuropa aus einer spezifisch juristischen Perspektive.

Monika PŁATEK (Warschau) konzentrierte sich auf zwei Prämissen, die für die Debatte zentral sind. Ausgehend von einem historischen Überblick argumentierte sie, dass Frauenrechte im Kommunismus nicht praktiziert, sondern lediglich zu bestimmten Anlässen herausgestellt wurden. Dies sei unter anderem deutlich geworden, als Frauenrechtsorganisationen und die Zivilgesellschaft begannen, den Internationalen Frauentag als Gelegenheit zum Protest zu nutzen. Darüber hinaus stellte Płatek die allgemeine Vorstellung in Frage, dass die Umsetzung der Istanbul-Konvention auf eine spezifisch osteuropäische Art und Weise erfolgt sei. Die Entwicklungen in Ostmittel- und Osteuropa müssten vielmehr in einem breiteren Kontext betrachtet werden.

In ihrem Kurzvortrag analysierte Marianna MURAYEVA (Helsinki) den russischen Widerstand gegen die Istanbul-Konvention als Teil einer allgemeinen Strategie, die darauf abzielt, den Europarat als Ganzes zu untergraben. Mit Verweis auf den anfänglichen Widerstand und die Versuche Russlands, in den Ländern, die es als seine Einflusssphäre betrachtet, Dissens zu säen, argumentierte Murayeva, dass der Widerstand gegen die Konvention lediglich eine politische Strategie sei, die nur oberflächlich mit dem Inhalt der Konvention zu tun habe. Dementsprechend betonte sie, dass das russische Verwaltungssystem das Problem der häuslichen Gewalt in einer Weise angehe, die den allgemeinen Linien der Konvention entspreche, ohne diese Linien jedoch rechtlich anzuerkennen. Sie schloss mit der Feststellung, dass das Ziel Russlands, die Legitimität des Europarats zu untergraben, jahrelang unerkannt blieb, weil das Thema nur für die Rechte der Frauen, nicht aber für den Europarat selbst als relevant angesehen wurde.

Tímea DRINÓCZI (Belo Horizonte) und Lídia BALOGH (Budapest) befürworteten ebenfalls, die Umsetzung der Konvention differenziert zu betrachten. In ihrer Fallstudie über Ungarn betonen sie, dass ein reines Schwarz-Weiß-Denken nicht ausreiche, um die Ablehnung der Konvention in Ungarn zu verstehen. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass im Falle Ungarns die Anti-Gender-Ideologie populistische Argumente unter dem Vorwand vorbringt, konservativ zu sein. Zudem argumentierten sie, dass die EU im Interesse der Frauenrechte und des Kampfes gegen geschlechtsspezifische Gewalt offen für Kompromisse sein sollte.

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN    

Radosveta VASSILEVA (London) analysierte das Urteil des bulgarischen Verfassungsgerichts, das die Istanbul-Konvention für unvereinbar mit der Verfassung hält. Bulgarien hatte die Konvention bereits 2016 unterzeichnet, als 2018 die Regierungskoalition, die Medien und öffentliche Akteure eine Kampagne gegen sie starteten. Vassileva argumentierte, dass die endgültige Entscheidung des Gerichts auf einer falschen Auslegung der Verfassung beruhe. Sie wies auf die rechtlichen Folgen der Entscheidung hin: Da andere Gerichte an das Urteil gebunden seien, führe das Urteil zu einer Verschlechterung der Frauenrechte im Land.

In der anschließenden Fragerunde wurden primär zwei Fragen diskutiert. Am Beispiel Bulgariens ging es um die Bedeutung klerikaler Akteure. Murayeva argumentierte, dass die Bedeutung der russisch-orthodoxen Kirche nicht überschätzt werden sollte, da sie in einem überwiegend nicht-religiösen Umfeld agiere. Płatek wies auf die Überzeugung mancher Regierungen hin, dass die Übereinstimmung mit den Interessen der Kirche entscheidend sei und nicht die Stellung der Kirche in der Gesellschaft insgesamt. Darüber hinaus wurde über die Bedeutung von Statistiken wie dem „Fundamental Rights Report“ (FRAU) von 2014 diskutiert. Die Teilnehmer*innen kamen zu dem Schluss, dass Statistiken in Ländern mit einem geringeren Rechtsschutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt als politisches Argument dienen. Ihre Daten beruhen tendenziell auf jenen fehlerhaften rechtlichen Kategorien, die es Frauen erschweren, rechtliche Schritte einzuleiten.

Die Diskutantinnen zeigten die vielfältigen Formen und Funktionen auf, die Rechtsinstrumente im Hinblick auf Frauenrechte annehmen können. Ihr Fazit: In den Ländern Ostmittel- und Osteuropas sind die Rechte der Frauen weiterhin durch populistische und autoritäre Regierungen und politische Bewegungen bedroht.

Datum:
02.03.2023, 16:00 Uhr bis 17:00 Uhr

Hinweis:
Die Veranstaltung findet online statt.

Sprache(n):
Englisch

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde