Der Preis unserer Freiheit

Ein Abend mit Juri Andruchowytsch

Bereits seit 2014 ist die Ukraine mit der Besetzung der Krim und dem anhaltenden Krieg in den Regionen Donezk und Luhansk russischer Aggression ausgesetzt. Ukrainische Kulturschaffende setzen sich seitdem vielseitig mit dem russischen Krieg gegen ihr Land auseinander und spiegeln die vielschichtigen Traumata und den Freiheitsdrang der ukrainischen Gesellschaft in ihrer Kunst wider.

Der renommierte ukrainische Romanautor, Essayist und Dichter Juri Andruchowytsch zeigt in seinem neusten Essayband Der Preis unserer Freiheit (Suhrkamp Verlag 2023) wie die imperialen Ambitionen Russlands zum Krieg gegen die Ukraine führten. Die seit 2014 verfassten Essays führen zurück zur Revolution auf dem Maidan und dem europäischen Selbstverständnis der ukrainischen Gesellschaft. Andruchowytsch warnte bereits früh vor der umfassenden Bedrohung durch die Russische Föderation und zeigt schonungslos auf, wie viele westliche Staaten zuschauten.

Wie haben sich die ukrainische Zivilgesellschaft und Kulturszene seit den 1990er Jahren verändert? Welchen Einfluss hat der ukrainische Überlebenskampf und die Kampfhandlugen seit 2014 bzw. 2022 dabei auf ukrainische Schriftsteller:innen und ihre Werke?  Darüber diskutieren Juri Andruchowytsch und die Germanistin Ljudmyla Melnyk im Gespräch mit Volker Weichsel von der Zeitschrift Osteuropa.


Veranstaltungsbericht

Bericht: Anna Marie Zeitler

Die Ausweitung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2022 wurde und wird von vielen ukrainischen Kulturschaffenden in ihren Werken verarbeitet. Juri ANDRUCHOWYTSCH war schon vor dem vollumfänglichen Angriff dafür bekannt, sich in seinen Werken mit seiner Heimat, aber auch dem russischen Imperialismus zu befassen, der diese bedroht. Schon früh warnte er vor weiteren russischen Aggressionen. Sein neuestes Werk „Der Preis unserer Freiheit“ (Suhrkamp Verlag, 2023) versammelt Essays aus der Zeit des Euromaidan, der Annexion der Krim bis hin zum vollumfänglichen Krieg. Der Band stand im Mittelpunkt einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Haus für Poesie, dem ukrainischen Institut in Deutschland sowie der Friedrich-Naumann Stiftung. Andruchwytsch diskutierte dabei mit der ukrainischen Germanistin Ljudmyla MELNYK, die unter anderem das Projekt German-Ukrainian Researchers Network leitet. Das Gespräch drehte sich um den Zustand der ukrainischen Zivilgesellschaft, die Frage, ob Russland einen Genozid an den Ukrainer*innen verübt und wie die Ukraine mehr Männer für die Verteidigung des Landes rekrutieren könnte.


UNTERSTÜTZUNG DURCH DEN WESTEN – EINE SCHIEFLAGE

Der Abend begann mit einer Lesung des Gedicht „Kulissenwechsel“ durch den Autor. Andurchowytsch zeichnet darin ein Bild der Umfunktionierung verschiedener Räume: die örtliche Schule wird zum Hotel, das Schloss wird zum Spital. Das Gedicht wird – so der Autor – seit dem vollumfänglichen Angriff häufig rezipiert, stellt es doch erdachte Anpassungsmechanismen einer Gesellschaft dar.

Im Anschluss erläuterte Andruchowytsch, wie sich seine Antwort auf die Frage, wie die Ukraine diesen Krieg aushalte, verändert habe. Dies hänge mit der Veränderung der Kriegsrealität seit dem Frühsommer 2023 zusammen. Es gehe nun nicht mehr nur um (Miss)Erfolge, sondern auch um die ausbleibende Hilfe durch den Westen. Seit Oktober bzw. November gäbe es kaum noch militärische Hilfe durch die USA und andere Nationen. Diese Unterstützung sei für die Verteidigung der Ukraine allerdings essenziell, die inländische Waffenproduktion reiche nicht aus. Der innenpolitisch Konflikt der USA würde laut Andruchowytsch auf dem Rücken seines Heimatlandes ausgetragen, gleiches gelte für die Spannungen zwischen den NATO-Bündnispartnern.

Andurchowytsch verwies zudem darauf, wie wichtig realistische Beurteilungen der Kriegsentwicklung seien. Es gebe zahlreiche Fehleinschätzungen, was einen möglichen Sieg der Ukraine und dessen Erreichbarkeit angehe. Melnyk ergänzte, dass hier auch die offensichtliche Wirksamkeit russischer Propaganda eine Rolle spiele. So sei der Glaube, die Ukraine würde innerhalb von drei Tagen überrannt, weit verbreitet gewesen. Der Schmerz, den der Krieg verursacht, durchdringe sowohl das öffentliche als auch das private Leben der Menschen. Der Westen müsse sich der Bedeutung des Krieges erneut bewusst werden, ebenso der Tatsache, dass es dabei um den Frieden in ganz Europa gehe, so die Germanistin. Man solle nicht nur die Misserfolge der Ukraine im Krieg, sondern vor allem auch die des Westens klar benennen.

DIE KLUFT IN DER UKRAINISCHEN GESELLSCHAFT UND DIE LAGE DER AUTOR*INNEN

Moderator Volker WEICHSEL (DGO, Zeitschrift Osteuropa) verwies in der Folge auf die Schwierigkeiten bei der ukrainischen Mobilmachung hin, die neben der ausbleibenden Unterstützung des Westens ein großes Problem darstellen. Melnyk zeigte dabei die Privilegien der Stadtbewohner im Vergleich zu denen auf, die auf dem Dorf leben und die Rekrutierung alleine aus monetären Gründen schwerer umgehen könnten. Allerdings stellte sich, so Weichsel, die Frage, wie man eine weitere Mobilmachung ermöglichen könnte, ohne dabei die Gleichheitsrechte für Männer zu verletzten und welche Rolle eine potenzielle Abschiebung aus Deutschland spielen könnte. Keine besonders große, so Andruchowytsch. Er schilderte ein aus seiner Sicht attraktiveres Modell, bei dem mobilisierte Personen zunächst sechs Monate Militärschulung erhalten und im Anschluss sechs Monate an die Front gehen. Darauf könnte eine ebenso lange Erholungszeit folgen, im Anschluss könnten die Personen dann selbst Schulungen leiten. Dieses Modell könne mehr Transparenz und Gleichstellung ermöglichen.

Angesprochen auf das Erleben der ersten Monate im Krieg antwortete Andruchowytsch, dass er diese in einer Art Schockzustand verbracht und sich gefühlt habe als würde er verstummen. Er habe bereits damals die Ahnung gehabt, dass keine Wörter diesen Krieg beenden könnten. Viele seiner Kolleg*innen, so der Schriftstellt, hätten die eigene und die gesellschaftliche Situation in spontanen Schreibformen aus, wie Gedichten oder Tagebüchern. Aus eigener Erfahrung schilderte Andruchowytsch die mentalen und zeitlichen Hürden, die mit der Veröffentlichung von Texten und Romanen einhergehe. Er selbst habe vielen Medienanfragen nachkommen müssen und habe zu Kriegsbeginn häufig gemerkt, dass es ihm an psychischer Kapazität für ein Buch fehlte. Auch habe er sich häufig gefragt, wofür sein Buch eigentlich noch nötig war. All dies habe die Entstehung seines neusten Buches stark beeinflusst.

DIE ROLLE DER SPRACHE

Melnyk verglich die aktuelle Lage mit dem Jahr 2014. Damals habe es bei der Frage nach Aggressor und Opfer noch deutlich mehr Grautöne gegeben, inzwischen sei die Aufteilung sehr eindeutig. Die Menschen würden sich zudem aus der Opferposition heraus emanzipieren und an Lösung für die Zukunft arbeiten. Die Germanistin verwies zudem auf die fehlenden ukrainischen Stimmen in der Öffentlichkeit. Dabei betonte sie die Bedeutung von Verdolmetschung als essenzielles Mittel zur Repräsentation von Ukrainer*innen in Deutschland. Eine Diskussion über das „Einfrieren“ des Krieges hielt sie wegen der fehlenden ukrainischen Stimme für sinnentleert. Auch würde man im deutschen Diskurs zu viel über teils ineffektive Lösungsansätze diskutieren. Schließlich betonte Melnyk die Rolle der Sprache: In Deutschland würde man die russische Propaganda nicht als so martialisch und brutal empfinden, da sie in Übersetzungen oft abgeschwächt werde.

Melnyk zufolge liegt hier auch die Ursache dafür, dass man den Krieg hierzulande nur selten als Genozid bezeichne. Weichsel machte in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Ausdrucks „Genozids“ in Deutschland aufmerksam, der stets mit der Devise „Nie wieder Ausschwitz“ verbunden sei. Eine Vermeidung des Begriffs sei Vielfach eine Ausrede dafür, nicht handeln zu müssen. Andruchowytsch stützte diese Annahme mit dem Verweis auf die Erfahrungen verschiedener Übersetzungen ins Deutsche, bei denen viele der Ausdrücke abgemildert würden. Unter anderem seien dies Phrasen gewesen, die eigentlich eine völlige Auslöschung der Ukraine ausdrücken würden. Melnyk verwies auch auf Framing der Ukrainer*innen als Nazis durch Russland. Die Sprache sei bereits der Anfang eines Völkermords. Andruchowytsch bezeichnete die Möglichkeit eines abstrakten Gespräches über die Lage seines Heimatlandes als unmöglich, da die korrekte Benennung der Situation möglicherweise mit weiterer Aggression verbunden wäre. Er beschloss die Runde mit einer Lesung seines Gedichts „Werwolf Sutra“.

Datum:
25.03.2024, 19:30 Uhr

Ort:
Haus für Poesie
Knaackstr. 97 (Kulturbrauerei)
10435 Berlin

Sprache(n):
Deutsch

Eintritt:
6 Euro (ermäßigt: 4 Euro)

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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