„Kollaboration“ und „Widerstand“ als konkurrierende Erinnerung: Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine
Fast während der gesamten Dauer des Krieges war die Ukraine ein Schlachtfeld. Sowohl die Wehrmacht als auch die Rote Armee passierten das Land zweimal – beim Einmarsch und beim Rückzug. Viele Ukrainer wurden Opfer von Gewaltaktionen von beiden Seiten. Fast 6 Mio. Ukrainer kämpften zudem während des Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee. Viele Tausende waren als sowjetische Partisanen oder als nationale Kämpfer tätig oder wurden gezwungen, die eine oder andere Gruppe zu unterstützen. Viele wurden von der jeweils anderen Seite dafür bestraft. Alle litten unter den Folgen des nationalsozialistischen Hungerplans. Manche versuchten, den Versorgungsproblemen durch freiwillige Meldung zur Zwangsarbeit zu entgehen, andere wurden in Razzien zusammengetrieben und zum Arbeitseinsatz gezwungen. Die meisten Ukrainer waren im Laufe dieses Krieges, der vor allem im Westen bereits 1939 begann, sowohl Opfer als auch Täter. Die Erfahrungen in diesem Krieg waren für die meisten völlig unterschiedlich, wobei manchmal die ethnische, soziale oder kulturelle Herkunft, manchmal der Wohnort, manchmal aber auch der Zufall darüber entschied, welche Gewalttäter auf das Individuum zugriffen, um zu töten, zu vergewaltigen oder Unterwerfung bzw. Mitarbeit zu verlangen. Die sowjetische Geschichtspolitik hat versucht, diese vielschichtigen Erinnerungen in der Heldengeschichte vom entbehrungsreichen Sieg im Großen Vaterländischen Krieg zu vereinheitlichen. Um diese komplexe Gemengelage in ihre hegemoniale Gedächtnisgemeinschaft zu überführen, bot sie ein verbindliches Narrativ von Kollaboration und Widerstand an. Auch die Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine hält noch weitgehend am Narrativ von „Kollaboration“ und „Widerstand“ fest. Dieses Narrativ muss überwunden werden, um der Vielfalt der historischen Erfahrungen in der Erinnerung einen Platz zu geben.
Eine DGO-Vortragsreihe an der Universität zu Köln & dem Cologne Center for Central and Eastern Europe.
Veranstaltungsprogramm
kriegsspuren_… (PDF, 936 kB)