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Kirchen in Odessa (© Lance Bradley)Kirchen in Odessa (© Lance Bradley)

Krieg in der Ukraine
Wie steht es um die Rolle der Kirchen?

Gespräch

Online-Veranstaltung

Zum Veranstaltungsbericht

Der Patriarch Kyrill der Russisch-Orthodoxen Kirche rechtfertigt Putins Angriff auf die Ukraine. Der Krieg habe "keine physische, sondern eine metaphysische Bedeutung" und wende sich gegen die westliche Welt. Die Orthodoxen Kirchen der Ukraine rufen dagegen zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Und selbst Vertreter der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gehen auf Distanz zu ihrem Patriarchen. Gleichzeitig entsendet Papst Franziskus zwei Kurienkardinäle als "Brückenbauer" in die Ukraine. Nur einige Schlaglichter, die grundsätzliche Fragen aufwerfen: Welche Rolle spielen die Kirchen im Krieg in der Ukraine? Und welchen Einfluss haben sie?

Podium

Regina ELSNER
Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, Berlin

Johannes OELDEMANN
Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn

Andrij WASKOWYCZ
Caritas Ukraine, Kyjiw

Moderation

Gabriele FREITAG
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin

Link zur Teilnahme:
https://us06web.zoom.us/j/88138063045?pwd=OERZVFRnOUpvdFRka3Nua2NLaUFPUT09

Telefonische Teilnahme unter:
+49 69 3807 9884

Meeting-lD:
881 3806 3045
Kenncode:
111804

Livestream in YouTube:
https://youtu.be/J5ISlcVJ_Rg

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Spendenkonto für die vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen:

Caritas international
Stichwort: Nothilfe Ukraine-Krieg
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02
Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe
BIC: BFSWDE33KRL
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Einladungsflyer_Kirchen_in_der_Ukraine (PDF, 179 kB)

Veranstaltungsbericht

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. unterstützt in seinen Verlautbarungen die Linie des russischen Präsidenten Vladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine. Die Orthodoxen Kirchen der Ukraine rufen dagegen zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Und selbst Vertreter der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gehen auf Distanz zu ihrem Patriarchen. Die Orthodoxie ist in Osteuropa schon seit längerem gespalten, die Kluft war aber noch nie so groß wie jetzt. Gleichzeitig treten die unterschiedlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Ukraine angesichts des Kriegs geschlossen auf. Über die Rolle der Kirchen im Krieg gegen die Ukraine diskutierten die Theolog*innen Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien und Johannes Oeldemann vom Johann-Adam-Möhler Institut für Ökumenik sowie der Leiter des Büros für humanitäre und soziale Initiativen des Weltkongresses der Ukraine, Andrii Waskowycz.

Die Ukraine verfügt über eine Vielzahl religiöser Gemeinschaften. Der Ukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen spiegelt diese religiöse Landschaft wider. Die Mehrzahl der Bevölkerung gehört der Orthodoxen Kirche an, bisher geteilt zwischen den Anhänger*innen des Kyjiwer und des Moskauer Patriachats. Die Bevölkerung katholischen Glaubens teilt sich auf in römisch-katholische und griechisch-katholische Gemeinden. Muslime, hauptsächlich Krimtataren, und Juden sind ebenso wie eine Reihe kleinerer christlicher Kirchen im Rat vertreten. In diesem Gremium gibt es viele Kontroversen. Vor dem Hintergrund des Kriegs sprechen sich die diversen Religionsgemeinschaften allerdings mit einer Stimme gegen den russischen Aggressor, für eine unabhängige Ukraine und für den Schutz des Luftraums durch die NATO aus. Regina Elsner beschrieb diese Einheit als bemerkenswerte und deutliche Unterstützung für den Staat.

Die Haltung der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Krieg wird über die Ukraine hinaus in den Orthodoxen Kirchen sehr kritisch gesehen. Johannes Oeldemann erklärte, dass die Orthodoxe Kirche in Deutschland den Patriarchen in Moskau kritisiert habe und Geflüchteten aus der Ukraine helfe. Auch die Rumänisch- und Serbisch-Orthodoxen Kirchen hätten Kritik an Kyrill I. und Putin geäußert sowie ihre Unterstützung für Geflüchtete signalisiert. Die Russisch-Orthodoxe Kirche isoliere sich. Und auch in Russland sehe man Risse: nicht wenige Priester dort hätten Kyrill I. öffentlich widersprochen.

Aber auch innerhalb der Orthodoxen Kirche in der Ukraine gibt es Unklarheiten. Metropolit Onufrij, bisher religiöses Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriachats, kritisierte zwar offen den Krieg, distanzierte sich aber noch nicht öffentlich von seinem Vorgesetzen in Russland, Kyrill I. Dies wird dem Ansehen der mit Moskau verbundenen Kirche wahrscheinlich weiter schaden. Die 1991 wieder gegründete Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kyjiwer Patriachats wurde innerhalb der Orthodoxie lange nicht offiziell anerkannt. Schon nachdem Russland die Krim annektierte und begann, die Separatisten im Donbas zu unterstützen, erhielt das Patriachat von Kyjiw mehr Zulauf seitens russisch-orthodoxer Gläubiger. Ende 2018 begann das Ökumenische Patriachat von Konstantinopel, die zwei Orthodoxen Kirchen in der Ukraine zu fusionieren und der neuen Kirche Eigenständigkeit zu gewähren. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen sowohl Putin als auch Kyrill I. den jetzigen Krieg zum Teil mit einer vorgeschobenen Unterdrückung von Andersgläubigen in der Ukraine.

Andrij Waskowycz wies darauf hin, dass die Position der Kirchen in der Ukraine oft falsch wahrgenommen wird: Die Kirchen unter dem Moskauer Patriachat werden als pro-russisch eingestuft, obwohl dies nicht immer der Realität entspricht – auch diese Kirchen werden von russischen Truppen bombardiert – und auch sie leisten humanitäre Hilfe vor Ort. Demgegenüber wird die katholische Hilfsorganisation Caritas oft als westliche Organisation oder pro-westlicher Agent verstanden, obwohl die Hilfe, die Caritas leistet, unpolitisch ist. Viele kennen die jüngeren Auseinandersetzungen in der Orthodoxen Kirche, aber die Krisen innerhalb der katholischen Kirche finden kaum mediale Präsenz.

Einen Konfliktpunkt unter den katholischen Kirchen in der Ukraine bildet die Annäherung des Papstes an die Orthodoxie. Im Jahr 2016 unterzeichneten Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. in Havanna eine gemeinsame Erklärung. In dieser geht es hauptsächlich um die Unterdrückung von Christ*innen im Nahen Osten, aber auch um konservative Werte, die beide Religionsgemeinschaften teilen. Dazu zählen die Ehe zwischen Mann und Frau und die Haltung zur Abtreibung. Heute rechtfertigen Kyrill I. und Putin den Krieg mit ihrem Kampf gegen westliche Werte: sexuelle Befreiung, Irreligiosität, Meinungs- und Pressefreiheit, usw. Dieser Teil der russischen Propaganda deckt sich mit den Vorbehalten vieler im Vatikan. Genau deswegen sei Klarheit jetzt dringend notwendig. Die Ukrainer*innen seien dankbar für die humanitäre Leistung der katholischen Kirchen, sähen auch den Papst insgesamt noch positiv, doch sie seien auch immer wieder enttäuscht von der vatikanischen Ostpolitik, so Waskowycz. Die gemeinsame Videokonferenz von Franziskus und Kyrill I. im März dieses Jahres beschreibt Regina Elsner im Sinne des Dialogs als gut gemeint. Die Bilder würden in der russischen Propaganda nun aber zur Rechtfertigung des Kriegs herangezogen. Und Papst Franziskus sei noch immer bemüht, die verbesserten Beziehungen zur Orthodoxie nicht zu beschädigen.

Klarer ist die Botschaft anderer Kirchenangehöriger. Die Deutsche Bischofskonferenz hat den Aggressor in einer Stellungahme im März beim Namen genannt und ihre Solidarität mit der Ukraine erklärt. Sogar über Waffenlieferungen wurde gesprochen: Die Ukraine habe das Recht auf Selbstverteidigung, und die Lieferung von Waffen sei daher legitim; allerdings äußerte die Bischofskonferenz keine direkte Zustimmung dazu. Waskowycz berichtete, dass die Ukrainer*innen dankbar seien für die Unterstützung, aber den Eindruck hätten, dass die deutsche Gesellschaft (inkl. Politik und Kirche) den Ernst der Lage noch nicht begreife. Die Situation sei viel schlimmer, als man sich in Deutschland vorstellen könne. Die UN sei nicht in der Lage die Anzahl der Todesopfer auch nur annährend zu schätzen und laut Prognosen würden 90% der ukrainischen Bevölkerung in Armut leben, wenn der Krieg länger andauert. Millionen von Menschen sind auf der Flucht und Deutschland erwecke den Eindruck, schon an seine Kapazitäten zu kommen, obwohl das Land bisher eine vergleichsweise geringe Last trage.

Die Kirchen in der Ukraine, so Waskowycz, sind gut miteinander vernetzt, bieten Schutzräume, helfen dabei Menschen mit Lebensnotwendigem zu versorgen und sie über Fluchtwege in Sicherheit zu bringen. Die positive Rolle der ukrainischen und ausländischen Kirchen sollten nicht überschattet werden von dem politisierten Drama auf höchster Ebene.

(Lance Bradley)