The Crimean Tatars
National Self-Assertion in Times of War
Since the annexation of Crimea in 2014, the Crimean Tatars receive increasing attention as an ethnic minority both within and outside Ukraine. Having been deported to Central Asia during World War II on Stalin's orders, many did not return to Crimea until the 1980s. Under the current Russian occupation, they are again being persecuted as an ethnic group. Many have left Crimea, and more than 100 Crimean Tatars have been imprisioned on political grounds by Russian authorities. Following Russia's open attack on Ukraine, their situation is deteriorating further.
The panel discussion will shed light on the political and social situation of the Crimean Tatar population in Crimea and the efforts of the diaspora to ensure the cultural and national survival of the ethnic group. It is not only about the trauma of persecution, but also about achievements of peaceful resistance and the perspectives of different generations on the future.
Panelists:
Alim Aliev, Ukrainian Institute, Kyiv (invited)
Sevgil Musayeva, Ukrayinska Pravda, Kyiv
Sarah Reinke, Society for Threatened Peoples, Berlin
Moderation: Gabriele Freitag, German Association for East European Studies, Berlin
The Cafe Kyiv is a project of the Konrad-Adenauer-Stiftung: https://cafekyiv.kas.de/
Veranstaltungsbericht
Anlässlich des Jahrestages des vollumfänglichen russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Konrad-Adenauer-Stiftung das Berliner Café Moskau in der Karl-Marx-Allee in einer Kunstaktion kurzzeitig in das Café Kyiv verwandelt. Am 27. Februar fanden dort Workshops, Diskussionen, Salons und viel Kultur statt. Dabei ging es um die Themen Freiheit, Sicherheit, den Wiederaufbau und um die Ukraine in Europa. Geschichte und Politik, Kunst, Filme, Küche und eine kreative Szene zeigten ein vielfältiges Bild der Ukraine.
Auch die DGO war mit einem eigenen Stand sowie einer Diskussionsrunde zum Thema „The Crimean Tatars. National Self-Assertion in Times of War“ vertreten. Die Journalistin Sevgil MUSAEVA (Ukrayinska Pravda) und Sarah REINKE von der Gesellschaft für bedrohte Völker sprachen über die politische und soziale Situation der krimtatarischen Bevölkerung und die Bemühungen der Diaspora, ihr kulturelles und nationales Überleben zu sichern. Die Veranstaltung nahm damit Bezug auf zwei wichtige Daten der krimtatarischen Geschichte: Der 26. Februar ist der Tag des Widerstands der Krimtataren, am 27. Februar begann 2014 die russische Annexion der Krim mit der Besetzung des Parlamentsgebäudes auf der Halbinsel.
Unmittelbar nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland habe die Verfolgung der Krimtatar*innen begonnen, berichtete Moderatorin Gabriele FREITAG zum Einstieg. Personen, die gegen die Annexion protestiert hätten, seien verhaftet, einige von ihnen gefoltert und getötet worden. Krimtatarische Medien wurden verboten, die Vertretungsorgane zu terroristischen Organisationen erklärt. Mit der russischen Invasion vom Februar 2022 habe sich die Situation noch einmal zusätzlich verschlechtert. Gleichzeitig – und dies sei eine bittere Ironie, so Freitag – habe das Interesse an den Krimtatar*innen als ethnische Minderheit zugenommen, sowohl in der Ukraine als auch außerhalb.
Musaeva verwies auf die aus ihrer Sicht schwache Reaktion des Westens auf die Annexion von 2014, die wiederum die Invasion von 2022 erst ermöglicht habe. Die Signale, die von der repressiven Entwicklung auf der Krim seitdem ausgegangen seien, habe man nicht hören wollen. Hinzu käme, so Musaeva, dass die Krimtatar*innen in der westlichen Debatte um eine friedliche Lösung marginalisiert wurden. 2015 hätten daher bereits etwa 10.000 Krimtatar*innen die Halbinsel verlassen. Da Krimtataren überproportional häufig in die russische Armee eingezogen würden, seien aus Angst vor einer Mobilisierung in den Jahren Jahr 2022 und 2023 weitere Menschen geflohen. Viele Krimtatar*innen hätten bereits das zweite Mal ihre Heimat verlassen müssen nachdem sie in den 1940ern Opfer der stalinschen Deportationen gewesen waren.
In Russland gäbe es gegenüber den Krimtatar*innen zwei primäre Vorurteile, so Reinke. Zum einen würde man in ihnen muslimische Extremist*innen sehen, zum anderen würden sie als Teil des wehrhaften ukrainischen Widerstands wahrgenommen. Die in Russland inhaftierten Krimtatar*innen, von denen die politischen Gefangenen nur die Spitze des Eisbergs seien, würden zumeist willkürlich behandelt und ohne rechtmäßigen Prozess inhaftiert. Tausende seien zudem in Untersuchungsgefängnissen untergebracht, ergänzte Musaeva. Ein angemessener Rechtsbeistand, so Reinke, sei grundsätzlich problematisch, da inzwischen auch die Anwälte verfolgt würden.
Musaeva berichtete weiter, dass Russland versuche, das Bild einer breiten krimtatarischen Unterstützung für die Annexion zu zeichnen. Allerdings nicht durch den Versuch, die Menschen für sich zu gewinnen, sondern lediglich durch die Unterdrückung missliebiger Stimmen. Gleichzeitig erfolge ein massiver Eingriff in Schulen und kulturelle Organisationen. Angesprochen auf die Bedeutung von Religion verwies Musaeva darauf, dass religiöse Organisationen der Krimtatar*innen stark unter Druck stünden. Russland unterdrücke ganz dezidiert die Rechte von Muslim*innen und nicht nur die Menschenrechte von Ukrainer*innen.
Diejenigen, die die Krim verlassen, gehen vor allem nach Zentralasien und in die Türkei. Musaeva sprach von circa 30.000 Menschen, die seit Beginn der Invasion in die Türkei gegangen seien. In Zentralasien würde sich vor allem eine Community junger Männer bilden, die vor der Mobilisierung geflohen seien. Nach Deutschland, so Reinke, kämen nur wenige. Seit Februar 2022 seien es etwa 1.000 Personen, die über ganz Deutschland verteilt lebten. Die Bildung einer Diaspora-Gemeinschaft sei unter diesen Umständen nur schwer möglich.
Musaeva ergänzte, dass neben diesen Aufnahmeländern auch der ukrainische Staat die Krimtatar*innen zunehmend unterstütze. Hier sei vor allem die geteilte Erfahrung von Schmerz und Leid relevant, die die Wahrnehmung des Widerstands als gemeinsame Sache stärke. Eine zentrale Rolle spiele zudem die „Krim-Plattform“, ein diplomatischer Zusammenschluss aus dem Jahr 2021, um mehr Aufmerksamkeit für die Annexion der Krim zu generieren. Die Plattform hat auch die Menschenrechte der Krimtatar*innen auf die Agenda gesetzt. Dadurch hätten die Krimtatar*innen deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Auch Reinke betonte, wie wichtig es sei, immer wieder auf die Situation der Krimtatar*innen aufmerksam zu machen und die Politik daran zu erinnern, dass es auf der Krim eine indigene Bevölkerung gibt. Sie konstatierte, dass man insgesamt seit 2014 zu wenig getan habe. Es sei zentral zu verstehen, so Musaeva zum Abschluss, dass man vielfach nicht die tatsächliche Geschichte der Krim hören würde, sondern vor allem das russische Narrativ. Dies gelte es immer zu bedenken, wenn über die Krimtatar*innen gesprochen werde.