Die Gesichter des Krieges

Vernissage

Die Gesichter des Krieges

Anlässlich des Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigt die DGO die Fotoausstellung Die Gesichter des Krieges mit Bildern des ukrainischen Fotografen Mstyslav Chernov in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Chernov war einer der letzten unabhängigen Korrespondenten im umkämpften Mariupol. Seine Bilder sind ein wichtiges Zeugnis des menschlichen Leidens im russischen Angriffskrieg.

Zur Eröffnung sprechen:
Kathrin Oxen, Pfarrerin
Oksana Dubovenko, Botschaft der Ukraine in Deutschland
Heike Dörrenbächer, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

Musikalische Begleitung: Staats- und Domchor Berlin

Im Anschluss diskutiert Gabriele Freitag (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) mit den nach Berlin geflüchteten Aktivist*innen Inna Datsiuk (Irpin /Berlin) und Halyna Kornienko (Kwitne Queer; Dnipro/Berlin) sowie mit Andrij Waskowycz vom Weltkongress der Ukrainer (Kyjiw) über Leben und Sterben im Krieg.

Bitte beachten Sie: Die Bilder enthalten sensible Inhalte und können verstörend sein!

Die Ausstellung war vom 22. Februar bis 5. April täglich von 10 bis 18 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zu sehen.

Veranstaltungsprogramm

Ausstellungsflyer (PDF, 4 MB)


Veranstaltungsbericht

Mariupol ist zu einem Symbol der Grausamkeit russischer Kriegsführung im Angriffskrieg gegen die Ukraine geworden. Während des mehr als zweimonatigen Kampfes um die Stadt wurde diese fast vollständig zerstört. Mstyslav Chernov von Associated Press hat als einer  der letzten unabhängige Korrespondenten Mariupol verlassen. Unter großem Risiko für sein Leben hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Yevhen Maloletka über das Leid der Menschen in der hart umkämpften Stadt berichtet. Ihre Bilder der zerbombten Geburtsklinik in Mariupol gingen um die Welt, während die Namen beider Reporter auf der Todesliste der russischen Soldaten standen.

Anlässlich des Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die DGO Bilder Chernovs in der Fotoausstellung „Die Gesichter des Krieges“ in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gezeigt. Die Bilder verdeutlichen eindrücklich die menschlichen Folgen des russischen Angriffskrieges, das Leid und die Toten. Am Abend des 22. Februar wurde die Ausstellung mit einer Vernissage in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eröffnet.

Die Realität des Krieges vergegenwärtigen

Anschließend an die musikalischen Eröffnung durch den Staats- und Domchor Berlin betonte Pfarrerin Kathrin OXEN in ihrem Grußwort, wie wichtig es sei, der Wahrheit des Krieges Raum zu geben. Die Entscheidung, in der Gedächtniskirche teils sehr explizite Fotografien des Krieges zu zeigen, sei keine leichte gewesen. Doch angesichts der Zäsur des russischen Angriffes auf die Ukraine müssten sich die Deutschen im Allgemeinen und die christliche Gemeinde im Besonderen der Wahrheit stellen. Dieser Krieg, in dem wir zwar nicht Partei, aber doch beteiligt seien, zeige, dass unsere Werte auch einen Preis hätten. Umso wichtiger sei es, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, und – so Pfarrerin Oxen abschließend – das Leid zu sehen.

Für die Botschaft der Ukraine in Deutschland dankte Oksana DUBOVENKO den Anwesenden für ihre kontinuierliche Aufmerksamkeit in einem Jahr des Leids und Kampfes. Die Ausstellung vergegenwärtige die Grausamkeit, mit der Russland in den besetzten Gebieten herrsche und Zerstörung hinterlasse, wo einst das Leben geblüht habe. Mariupol sei hier ein besonders dramatisches Beispiel. Ihr Grußwort beschloss sie mit dem Appell, keines der russischen Verbrechen ungesühnt zu lassen. Heike DÖRRENBÄCHER vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterstrich ebenfalls den schockierenden Charakter der Fotografien. Doch gerade angesichts der wiederholt aufkommenden Debatte um vermeintliche Friedenslösungen sei es wichtig, sich die ganze Realität des Krieges zu vergegenwärtigen.

Rationales und emotionales Begreifen

„Leben und Sterben im Krieg“ lautete der Titel der anschließenden Podiumsdiskussion. Inna DATSIUK (Psychotherapeutin, Irpin/Berlin), Halyna KORNIENKO (Kwitne Queer, Dnipro/Berlin) und Andrij WASKOWYCZ (Weltkongress der Ukrainer, Kyjiw) beleuchteten dabei im Gespräch mit Gabriele FREITAG (DGO) die menschliche Dimension des Krieges in der Ukraine. Kornienko und Datsiuk betonten eingangs, dass der 24. Februar 2022 trotz der vorangegangenen acht Jahre Krieg für die Mehrheit der Ukrainer*innen den Kriegsbeginn markiert habe. In der Zeit vor dem 24. Februar habe die Mehrzahl der Ukrainer*innen den Ernst der Lage nicht erkannt. Kornienko differenzierte weiterhin zwischen einem rationalen und einem emotionalen Begreifen, wobei letzteres insbesondere in den großen Städten erst 2022 eingesetzt habe. Das emotionale Begreifen des Krieges sei dabei mit der Erkenntnis einhergegangen, dass das eigene Leben nichts mehr bedeute.

Im verspäteten Bewusstsein um die Kriegsrealität erkannte Waskowycz eine zentrale Parallele zur (Nicht-)Wahrnehmung des russischen Kriegs gegen die Ukraine in Deutschland nach 2014. Nach dem Kriegsbeginn im Donbas seien Binnengeflüchtete in der Ukraine mit ihren Erlebnissen und Traumata zumeist alleingelassen worden – bis zum 24. Februar, ab dem ein normales Leben in der gesamten Ukraine unmöglich wurde. Doch selbst ihn habe die heftige und auf die ganze Ukraine ausgeweitete Eskalation letztlich unvorbereitet getroffen.

Das gesamte Ausmaß menschlicher Schicksale ist noch längst nicht absehbar

Kornienko, die in der Ukraine lange in der Sozialarbeit mit vulnerablen Gruppen, insbesondere Sexarbeiter*innen tätig war, verwies in ihrer Darstellung der gegenwärtigen Situation dieser Menschen vor allem auf die Zukunft: es sei zu erwarten, dass nach dem Abzug der russischen Truppen zahlreiche Fälle erzwungener Prostitution bekannt würden. Zwangsprostitution sei im Kriegskontext, gerade im Niemandsland zwischen den russischen und ukrainischen Truppen, oft die einzige Möglichkeit, zu überleben. Und auch auf der Flucht und im Exil stießen Frauen, die vor Kriegsbeginn als Sexarbeiterinnen gearbeitet hätten auf Tabus und Diskriminierung, was Therapie und Hilfe stark erschwere.

Mit Blick auf die humanitären Folgen des Krieges unterstrich Waskowycz die zahlreichen Traumatisierungen der Überlebenden. Inna Datsiuk betonte hierbei die für alle Überlebenden zentrale Frage – warum lebe ich noch? Für Waskowycz und Kornienko lag in dieser Frage zugleich auch der Schlüssel zur Resilienz und Widerstandsfähigkeit der Ukraine, der Umgang mit dem Grauen sei vom Versuch geprägt, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Ein Beleg hierfür sei auch das für Kriege bisher ungekannte Ausmaß der Dokumentation des Grauens, etwa über Telegram und Twitter.

Die Gesprächsrunde schloss mit einem Ausblick auf mögliche Wege aus dem Krieg. Hierzu unterstrich Waskowycz die Bedeutung der Gerechtigkeit für eine wirklich befriedende Lösung. Ziel könne kein Kompromiss sein, in dem Russland, zynisch gesagt, zugebilligt werde, statt aller nur einen Teil der Ukrainer*innen umzubringen. Wichtig sei eine Läuterung Russlands und die Verfolgung der begangenen Verbrechen. Inna Datsiuk beschloss die Runde mit einem Dank an all jene, die sich der Kriegsmüdigkeit entgegensetzten und auch nach einem Jahr Krieg den Ereignissen weiter Aufmerksamkeit schenkten.

Datum:
22.02.2023, 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr

Ort:
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Breitscheidplatz
10789 Berlin

Sprache(n):
Deutsch und Ukrainisch, simultan gedolmetscht

Programm:

Ausstellungsflyer (PDF, 4 MB)

Veranstalterin:
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Kooperationspartner:
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